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Exp. Nr. 54: Das dauert aber nur eine oder zwei Wochen, daß die Arbeit so stark ist; dann wird sie geringer, und es kommt sogar so weit, daß wir nur bis 4 Uhr arbeiten und entsprechenden Lohn bekommen oder daß wir ganz zu Hause sind.

Dr. Schwab: Welches sind Ihre höchsten und niedrigsten Wochen- löhne? Exp. Nr. 54: fl. 10, 7, 6 und auch gar nichts.

Vorsitzender: Wird Ihnen etwas abgezogen, wenn Sie etwas verderben? Exp. Nr. 54: Nein; aber ich muß das einbringen, denn ich muß mich beeilen, damit die Frau keinen Schaden leidet.

Witt elsh öfer: Sie empfinden es selbst als ein Unrecht, daß die Männer für dieselbe Arbeit einen höheren Lohn bekommen. Glauben Sie, daß die Frau gerade so viel und gerade so gut in derselben Zeit arbeitet wie ein Mann? Exp. Nr. 54: O ja; noch mehr und ebensogut.

Exp. Joses Klusäöek gibt über Befragen seitens des Vorsitzenden an: Ich bin in meinem Geschäfte Zuschneider, und die Arbeiterinnen unter­stehen mir. Die Frau will nur Arbeiterinnen beschäftigen. Es kommt vor, daß Arbeiterinnen die Arbeit gut machen, es kommen aber auch solche vor, denen man eine Arbeit nicht anvertrauen kann, und daß man, wenn das Stück ausgeführt ist, sofort sieht, es ist von einer Arbeiterin gemacht.

Dr. Schwiedland: Wenn man also sagt:Diese Arbeiterin ar­beitet wie ein Mann", so ist das schon ein großes Lob? Experte KlusLöek: Ja. Es gibt Arbeiterinnen, die gut arbeiten; die werden auch zu den Taillen herangezogen, und die Männer werden hinaus­geschmissen.

Vorsitzender: Sie haben aber doch eine Organisation innerhalb der Branche. Beschäftigt sich diese nicht mit der Frage? Exp. Klusä- eek: Wir Frauenschneider haben eigentlich gar keine Organisation.

Dr. Rauchberg: Wenn nun solche tüchtige Arbeiterinnen beschäf­tigt werden, bekommen sie dennoch einen kleineren Lohn als die Männer?

Exp. Klusäöek: Manchmal nicht einmal die Hälfte bei gleicher Leistung.

Herrdegen (zur Exp. Nr. 54): Können Sie uns vielleicht etwas über den Unterschied zwischen Lehrmädchen und Lehrfräulein sagen? Exp. Nr. 54: Es wird auch in unserem Geschäft, wie in anderen, zwischen Lehrmädchen und Lehrfräulein unterschieden. Das Lehrfräulein braucht die Arbeit nicht so zu verrichten wie das Lehrmädchen. Sie bezahlt, wird in der Genossenschaft nicht ausgedungen und macht auch nicht die ordentliche Lehrzeit; sie lernt nur sechs Monate oder ein Jahr. Sie sagt, daß sie es nur lernt, um zu Hause es dann für sich zu verwenden; sie geht aber dann doch in ein Geschäft. Das sind Diejenigen, die so billig arbeiten; bei uns sind zwei Lehrmädchen und ein Lehrfräulein.

W ittel sh ö f er: Waren im früheren Geschäfte auch Lehrmädchen und Lehrfräulein ? Exp. Nr. 54: Nein. (Ueber Befragen des Vorsitzenden.) Ge­schenke an Vorgesetzte sind bei uns nicht üblich. Was die Ernährung anlangt, so kommt es bei uns vor, daß wir zu Mittag im Kaffeehaus uns einen Kaffee nehmen, dazu eine Semmel. Das Frühstück habe ich von zu Hause. Jn's Gasthaus geht höchstens die zu Mittag, die fl. 1'60 oder fl. 2 hat; sonst gehen alle zusammen in dasselbe Kaffeehaus. Da zahlt man 8 kr. für Kaffee und 3 kr. für ein Milchbrot. Zur Jause haben wir entweder für 2 kr. Speck und Brot oder für 3 kr. Wurst.

Vorsitzender: Wie steht's mit dem Nachtmahl? Das werden Sie vielleicht von Ihren Colleginnen gehört haben. Exp. Nr. 54: Ja, wenn die strenge Saison ist, so können sie nicht einmal Nachtmahl essen, weil sie um 11 Uhr nach Hause kommen. Da erzählen sie oft, daß sie mit einem Butterbrot haben vorlieb nehmen müssen, weil es schon zu spät war, um sich etwas Anderes zu kaufen. Diejenigen, die bei den Eltern sind, bekommen das Essen von Mittag am Abend aufgewärmt.