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Tr. Schwiedland: Kommt es nicht vor, daß auch Näharbeiterinnen in den Salons die Kost bekommen? Exp. Nr. 54: Das ist mir nicht bekannt.

Dr. Schwiedland: Können Sie in der Saison Ersparnisse machen, da Sie so kärglich leben? Exp. Nr. 54: Man erspart so viel, daß man sich Kleider und Schuhe anschaffen kann. Einschränken kann man sich mit der Ernährung in der stillen Saison auch nicht, und ersparen können sich Manche auch deswegen nichts, weil sie eine Mutter oder einen Vater zu erhalten haben.

Dr. Schwiedland: Wie ist das bei Ihnen? Exp. Nr. 54: Ich wohne mit meiner Mutter im gemeinsamen Haushalt; sie verdient auch einige Gulden.

Wittelshöser: Bei dem Lohn von fl. U60 könnten Sie sich doch ein Gemüse oder eine Suppe zu Mittag kaufen? Exp. Nr. 54: Ja, das kann man; aber es kostet gerade so viel wie der Kaffee.

Wittelshöser: Sie ziehen diesen also vor? Exp. Nr. 54: Ja.

Wittelshöser: Wie ist es denn mit dem Essen im Laufe des Vormittags? Exp. Nr. 54: Da haben wir keine Pause. Wir können immer nebstbei während der Arbeit essen. (Ueber Befragen des Vorsitzenden.) Das Arbeitslocal ist sehr finster; wir müssen bei Licht arbeiten, und es ist auch für diese vielen Leute zu klein. Es ist im Mezzanin gelegen. In einem Zimmer sind zwei Fenster, dann ist ein Cabinet mit einem Fenster. Im Cabinet sind die Männer, im Zimmer sind die Frauen. Außer den Fenstern ist keine Oeffnung für die Ventilation. Gebügelt wird im Vorzimmer. (Ueber Befragen des Herrn Wittelshöser.) Im Winter wird nur geöffnet, wenn wir fertig sind, anders geht's nicht, denn wir müssen beim Fenster sitzen, weil das Zimmer dunkel ist. Auch während der Mittagspause werden die Fenster geöffnet. (Ueber Befragen des Vorsitzenden.) Ueber Mittag müssen wir fortgehen. Nur wenn Postarbeit ist, müssen wir Alle im Local bleiben. Da lassen wir uns etwas zum Essen holen, essen im Bügel­zimmer und gehen dann wieder zur Arbeit, dann entfällt die Pause ganz.

Dr. Brezina: Kommt das öfter vor? Exp. Nr. 54: Ja.

Wittelshöser: Wird Ihnen eine solche Stunde separat gezahlt? Exp. Nr. 54: Ja. (Ueber Befragen des Vorsitzenden.) Es sind mehr Ledige als Verheiratete bei uns. Das Alter beginnt von 16 Jahren, es sind auch Fräulein, die über 60, 69 Jahre alt sind. Ueber Zudringlichkeiten oder Belästigungen seitens Vorgesetzter oder seitens der Arbeiter haben wir nicht zu klagen. Auch über die Behandlung im Allgemeinen kann ich mich nicht beklagen.

Dr. Osner: Wie ist es mit der Reinlichkeit? Exp. Nr. 54: Sehr schlecht. Wir kommen sehr häufig, wenn noch ausgekehrt wird, und wir müssen den Staub einathmen. Der Fußboden wird oft zwei oder drei Monate nicht gewaschen. (Ueber Befragen des Herrn Herrdegen.) Daß Arbeiterinnen aus solchen Betrieben austreten und sich selbstständig machen, kommt nicht vor. Diejenigen, welche in einem solchen Betriebe arbeiten, wie ich, haben Alles gelernt und könnten sich dann als Schneiderinnen niederlassen, aber die in einem Salon gelernt haben, nicht. Bei der Frei­sprechung der ausgedungenen Lehrmädchen aus den Salons ist es so, daß sie, wenn sie Schöße gelernt hat, bei der Freisprechung nur die Schöße macht, wenn sie Leiber gelernt hat, einen Leib. Für ein ganzes Kleid wird sie nicht befähigt.

Dr. Schwiedland: Wie ist es denn mit den Altersverhältnissen? Ich bitte das etwas näher auseinanderzusetzen. Exp. Nr. 54: Die älteste Collegin ist 69 Jahre alt, Andere sind 60, 26, 20, 16 Jahre alt.