Lehrmädchen sind dort nicht, Männer auch nicht. Hingekommen bin ich durch Recommandation. Eine Zeit lang habe ich pro Tag genäht und fl. I'IO bekommen, dann hat der Herr auf sl. lBO gebessert. Dann hat er für ein Geschäft gearbeitet, welches sehr wenig für die Arbeit gezahlt hat, und da hat er gesagt, ich soll per Stück arbeiten, seitdem arbeite ich per Stück. Für einen Cape zahlt er sl. I'IO bis sl. 1'50; da muß ich aber sehr fleißig sein, um ein Stück in einem Tage fertigzumachen. Wenn ich mehr verdienen muß, so kommt es oft vor, daß ich jede Woche drei, vier Nächte bis halb 2 Uhr arbeiten muß. Da nehme ich die angefangene Arbeit znm Ausfertigen nach Hause. Wenn ich ganz beschäftigt bin wie jetzt, so verdiene ich pro Tag fl. 1'40 bis 1'5<>. Da arbeite ich von 8 Uhr Früh bis 7 Uhr Abends im Geschäft, um 7 Uhr gehe ich nach Hause, um 8 Uhr setze ich mich wieder zur Arbeit und arbeite bis 12, 1, halb 2 Uhr. Das Licht dazu muß ich mir selbst beistellen, andere Materialien nicht.

Vorsitzender: Da haben Sie sich aber, wenn Sie die Arbeits­zeit in Betracht ziehen, Ihre Lage bedeutend verschlechtert gegen früher, wo Sie einen festen Lohn hatten. Exp. Nr. 56: Aber früher, wo ich pro Tag gezahlt war, hat es immer geheißen, ich mache zu wenig fertig. Um dem auszuweichen, arbeite ich lieber per Stück und verdiene lieber ein Sechserl weniger, als daß ich mich tagsüber sekiren lasse, daß ich zu wenig arbeite.

Vorsitzender: Wie arbeitet denn Ihre Collegin? Expertin Nr. 56: Die hat im Taglohn 60 kr. und arbeitet von 8 bis 7 Uhr.

Vorsitzender: Wie ist es denn mit den Arbeitspausen? Exp. Nr. 56: Mittags eine Stunde, von 12 bis 1 Uhr; andere Pausen gibt es nicht.

Herrdegen: Wenn Sie nur im Geschäfte im Stücklohn dieselbe Zeit arbeiten würden wie früher im Taglohn, wären Sie da im Stande, sich fl. l'50 zu verdienen? Exp. Nr. 56: Es kommt fast aus das Gleiche heraus.

Herrdegen: Werden Sie vom Unternehmer gezwungen, so viel Arbeit nach Hanse zu nehmen oder bewerben Sie sich selbst darum? Exp. Nr. 56: Manchmal ist Postarbeit, und da ersucht mich der Herr, ich soll Arbeit nach Hause nehmen, manchmal verlange ich es selbst.

Herrdegen: Haben Sie für Jemanden zu sorgen? Expertin Nr. 56: Nein.

Herrdegen: Sie wollen also nur mehr verdienen? Expertin Nr. 56: Ja.

Herrdegen: Wie sind denn die Verhältnisse des Unternehmers? Exp. Nr. 56: Er ist schon über 70 Jahre alt, und es geht ihm selbst schlecht, so viel er kann, arbeitet er selbst mit. Ich wollte schon oft weg­gehen in einen größeren Salon, aber er bittet mich immer, ich soll bleiben, er braucht jemanden Verläßlichen, weil er schon zu alt ist; da kann ich das nicht thun und bleibe wieder.

Herrdegen: Er arbeitet für einen Eonfectionär? Expertin Nr. 56 : Ja. ^

Herrdegen: War er früher selbstständigcr Schneider? Expertin Nr. 56: Ja.

Wittelshöfer: Knndenarbeit hat er nicht ? Exp. Nr. 56 : Nein.

Dr. Faber: Wird im Allgemeinen lieber per Stück oder pro Stunde gearbeitet? Exp. Nr. 56: Die Anderen arbeiten lieber pro Tag, weil sie nicht so selbstständig arbeiten können.

Dr. Faber: Sie wollen das Sekiren vermeiden. Werden die Anderen sekirt? Exp. Nr. 56: Natürlich. Sie möchten auch per Stück arbeiten, aber sie können nicht selbstständig arbeiten und bekommen die Arbeit so nicht.