Dokument 
Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
Entstehung
Seite
184
Einzelbild herunterladen

184

Exp. Vogels: Das kann ich von Wien nicht sagen, glaube es aber bezweifeln zu dürfen. Meistens zahlt jeder Lehrherr etwas. Die hiesige Arbeiterbevölkerunq ist ja sehr arm, und es würde nur wenige geben, die etwas zahlen könnten.

Dr. Verkauf: Kommt es nicht doch vor, daß in einzelnen Fällen Mädchen aus den besseren Kreisen zahlen, damit sie die Sache rascher erlernen?

Exp. Vogels: In Deutschland kommt das vor. In Wien sind mir aber solche Fälle nicht bekannt. Exp. U: Die Mädchen in unserer Branche recrutiren sich ausschließlich aus Arbeiterkreisen. Mir ist es nie vorgekommen, daß eine aus den besseren Kreisen zu unserer Branche gegangen wäre.

Dr. Schwiedland: Wie viele Männer haben Sie in Ihrem Be­triebe ? Exp. Vogels: Gewöhnlich ungefährhalb so viele als Arbeiterinnen (ohne die Lehrmädchen), dazu sieben bis acht Lehrlinge.

Dr. Schwiedland: Ich glaube, daß dieses Verhältniß in Ihrer Branche vorwiegt: es sind doppelt so viel Frauen beschäftigt als Männer. Meines Wissens ist aber ein großer Unterschied zwischen der Technik in Deutschland und der hiesigen. Exp. Vogels: Die großen Betriebe hier sind ganz so wie die in Deutschland. Es sind in Deutschland weniger Maschinen als in Wien. Das kommt daher, daß in Deutschland die Arbeits­kraft mehr ausgenützt wird. Die Wiener Arbeiter sind nicht im Entferntesten das zu leisten im Stande, was die deutschen Posamentirer leisten müssen, sowohl die Gehilfen als auch die Arbeiterinnen. Das liegt nicht so sehr an der Fähigkeit, als an der Einteilung. Wir beschäftigen hier sechs Schnur­dreher; in Deutschland würden in diesem Raume blos drei beschäftigt sein.

Dr. Schwiedland: Sind die Löhne höher? Exp. Vogels: Etwas höher, und die Lebenshaltung ist billiger.

Dr. Schwiedland: Es wurde behauptet, daß in Ihrer Branche die Frauen besser bezahlt werden als die Männer. Exp. Vogels: Das ist nicht richtig. Der Fall wird nicht vorkommen, daß ein Mann fl. 3 bis 4 verdient. Der Durchschnittslohn der Männer ist vielmehr fl. 10.

Dr. Schwiedland: Die Behauptung steht im Protokoll der Gewerkschafts-Enquete von 1892/93. Exp. Vogels: Sie ist unrichtig.

Dr. Schwiedland: Findet Verdrängung der Männerarbeit durch die Frauenarbeit statt? Exp. Vogels: Jetzt nicht mehr. Dieser Proceß mag seit 20 bis 25 Jahren zu Ende sein.

Dr. Schwiedland: Konnten Sie in den letzten Jahren Ver­schlechterung der Löhne constatiren? Exp. Vogels: In Deutschland nicht, im Gegentheil.

Dr. Ofner: Ich verstehe nicht ganz, wenn Sie sagen, daß in Deutsch­land mehr geleistet wird, ohne daß dort bessere Maschinen sind, auch die Arbeiter nicht intelligenter sind und die Arbeitszeit nicht länger ist. Exp. Vogels: Die Arbeiter müssen mehr leisten, sie müssen intensiver arbeiten. In vielen Fabriken gibt es dort Stückarbeit, die hier nicht existirt. Und wenn der Arbeiter im Wochenlohn ist, so wird ihn der Fabrikant ent­lassen, wenn er sieht, daß er nicht das leistet, was er bei einem Minimal­lohn von 24 Mark pro Woche von ihm verlangen zu dürfen glaubt.

Engel: Sie haben zwischen den deutschen und den hiesigen Lehr­mädchen eine Parallele gezogen und behauptet, daß die Mädchen draußen in drei Monaten dieselbe Geschicklichkeit haben wie hier die Mädchen, die drei Jahre lernen. Ist das auf höhere Intelligenz zurückzuführen? Exp. Vogels: Die Intelligenz trägt dazu weniger bei. Die Mädchen an einem Tisch, etwa 20, übernehmen eine bestimmte Ärbeit. Die erste Arbeiterin weiß: die kann diese und die jene Arbeit besser machen, und darnach vertheilt sie dieselbe. In Folge dessen kann die Arbeitskraft besser ausgenützt werden, und die Arbeiterin, wenn sie auch nicht so lange gelernt hat, ist im Stande, gut und rasch zu arbeiten. Hier müssen aber die Lehrmädchen auch dem