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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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13. Sitzung, Freitag, 13. Wär; 1696.

Vorsitzender: Pernerstorfer.

Beginn der Sitzung 7 Uhr 15 Minuten Abends.

Schriftführer Dr. Frey: Wir waren auch bemüht, Expertinnen aus der Bettwaarenbranche zu erhalten. Nun habe ich von dem Obmanne der Krankencasfe der Bettwaaren-Genossenschaft folgenden Brief erhalten (liest):

Hochgeehrter Herr Doctor!

Es ist mir trotz der größten Mühe nicht möglich, Expertinnen unseres Faches namhaft zu machen, da sich die Leute fürchten, ihre Plätze zu ver­lieren, andererseits nicht in der Lage find, wie sie sich äußerten, in Folge Mangels besserer Kleidung sich in besser situirter Gesellschaft zu bewegen. Bitte daher den Gehilfenobmann, Genossen Jgnaz Pischan, XV. Sperr- gasse 5, vorzuladen, der zufällig mehrere Jahre im en Kiv8-Betriebe mit Frauen gearbeitet hat und die Verhältnisse sehr genau kennt. Hochachtend L. Weigel, Obmann der genossenschaftlichen Krankencasfe der Bettwaareu- erzeuger Wiens.

Vorsitzender: Ich setze nun die Vernehmung von Experten der Wäscheerzeugung fort. Exp. Frl. Marie Krasa (über Befragen des Vor­sitzenden) : Wenn ich es zu meiner Pflicht gemacht habe, über die Lage der Näherinnen zu sprechen, so geschah dies deshalb, weil, trotzdem durch die gestrigen Aussagen manche Mißstände geschildert wurden, es gleichwohl so scheinen könnte, als ob die Lage der Näherinnen eine glänzende wäre. Das Verhältniß der Näherinnen zu den Frauen und der Frauen zu den Unter­nehmern ist doch ein ganz anderes als es gestern geschildert wurde. Ich selbst war acht Jahre sowohl als Maschinnäherin, als auch als Maschin- schlingerin thätig. Unter den Schürzennäherinnen gibt es verschiedene Kategorien. Diejenigen, die schwächer arbeiten, die sich aber bedeutend mehr anstrengen, obwohl sie schlechter bezahlt werden als die anderen, müssen immer einfache Waaren machen, nämlich Bänder, Seitentheile der Schürzen, das Säumen der Schürzen u. s. w. Das ist eine Arbeit, wo die Mädchen nie aufhören dürfen, auf der Maschine zu treten, und sie bekommen dafür höchstens fl. 3 bis 4. Diejenigen Arbeiterinnen, die schon etwas besser arbeiten, haben bei den Schürzen fl. 5 bis 6. Bei dieser Arbeit sind die Mädchen thatsächlich gezwungen, etwas besser zu essen, weil sie bei der Maschine mehr angestrengt sind als bei einer anderen Arbeit. Eine dritte Kategorie von Arbeiterinnen ist diejenige, welche die Schürzen ganz fertig­stellen. Eine Arbeiterin allein macht die Schürzen nicht ganz fertig, sondern es werden vier Maschinen bei einem Fenster zusammengestellt, so zwar, daß immer je zwei einander gegenüber stehen, und da arbeiten vier zusammen, indem drei immer bestimmte Theile machen und die vierte es fertigstellt. Unter Denjenigen, welche fertigstellen, gibt es thatsächlich Arbeiterinnen, welche fl. 7 bis 6 verdienen, jedoch müssen diese ein sehr großes Quantum Arbeit leisten. So müssen vier Näherinnen in einem Tage 15 bis 20 Dutzend Unterröcke, nämlich Flanellröcke von Valeriebarchent, vollständig fertigstellen. Für diese zahlt man der Unternehmerin 90 kr. bis fl. 1 per Dutzend. Wenn alle Vier schon ziemlich gut bezahlt werden, so bekommen sie zusammen fl. 4. Da können Sie sich ausrechnen, welchen ungeheueren Nutzen gerade in dieser Branche die Unternehmer haben. Die Zwischenmeister haben gerade bei uns mehr wie in der Consectionsbranche, und die Näherinnen sehen auch sehr bald ein, daß sie viel mehr verdienen, als sie für ihre Arbeit bezahlt be­kommen, und jede etwas besser qualificirte Näherin trachtet so bald als möglich selbstständig zu werden. Sie geht in die Stadt hinein und sucht

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