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meist am Quai Geschäfte aufzutreiben, für welche sie arbeiten kann. Ich war erstaunt, daß gestern gesagt wurde, es sei Mangel an Arbeitskräften. Das trifft nicht zu. Man muß tagelang Hausiren gehen, bis Einem ein Chef sagt:Bringen Sie ein Muster." Da muß man den Stoff zum Muster selbst kaufen und 30 bis 50 Muster bringen. Jeder Chef sagt:Ich habe ohne­dies 5000 bis 7000 Muster. Ich brauche etwas Neues, Apartes." Nur selten, wenn der Chef oder Manipulant, dem das meist obliegt, sieht, daß die Muster thatsächlich zufriedenstellend sind, läßt er sich herbei, auch einige Meter Stoff selbst herzugeben. So probirt eine Arbeiterin herum, bis sie mehrere Geschäfte zusammenbekommt, um selbstständig zu werden. Es gibt sehr viele, die selbstständig zu arbeiten anfangen und dann trotzdem wieder um st. 6 bis 7 in die Arbeit gehen müssen und statt Kleingewerbe­treibende wieder Arbeiterinnen werden. Die Unternehmerinnen nehmen dann solche Arbeiterinnen sehr ungern auf, weil diese die Preise schon kennen, welche gezahlt werden, und mit dem Lohne, welchen die Frau zahlt, un­zufrieden sind. Die Näherinnen stehen eben, weil sie Näherinnen sind, mit der Mode viel mehr im Zusammenhange wie die anderen Arbeiterinnen. Deshalb verwenden sie auch viel mehr auf die Kleidung und dünken sich besser als andere Arbeiterinnen. Deshalb lassen auch viele Eltern ihre Töchter sich durch Nähen etwas verdienen, schicken sie aber nicht in die Fabrik, weil ihnen das erstere nobler und feiner vorkommt. Auch das trägt dazu bei, daß die Näherinnen nur darauf schauen, recht schön gekleidet zu gehen, nicht aber darauf, daß ihnen in den Magen etwas hineinkommt. Die Arbeitszeit ist durchschnittlich von 7 Uhr Früh bis 7 Uhr Abends, mit einer Stunde Mittagspause. Es kommt aber in der Saison auch vor, daß 10, 18 Stunden gearbeitet wird, und die Ueberstunden werden nicht besser bezahlt, sondern genau so wie die Tagesstunden. Auch ist es nur selten, daß eine Frau gestattet, daß die Arbeiterin am Abend eine halbe Stunde Pause für das Nachtmahl hat. Abzüge seitens der Frauen gegenüber Arbeiterinnen kommen weniger vor. Aber den Frauen selbst werden in den Geschäften Abzüge gemacht; so weiß ich von einer hiesigen Firma, daß sie bedeutende Abzüge macht. Der Hausknecht oder das Laufmädel kommt, um die Arbeit zu holen, und wenn man es abliefert, so zeigt sich, daß bei dieser oder jener Partie thatsächlich weniger Stoff gegeben wurde, als zur Fertigstellung des betreffenden Quantums Waare erforderlich ist, und dann ist der Zwischenmeister verpflichtet, den fehlenden Stoff zu bezahlen. Die Zwischenmeisterin sagt: Es ist nicht möglich, mit diesem Stoff auszukommen; es ist aber nicht genug Stoff da. Aber wenn sie dem Manipulanten nicht ein ansehnliches Geschenk macht, so muß sie sich doch Abzüge gefallen lassen, und selbst wenn sie ihm Geschenke macht, und es ist einige Zeit vergangen, so ist das Geschenk vergessen, und die Abzüge kommen wieder. Ferner kommt es bei Borten- stoffen, die zum Aufputz der Schürzen verwendet werden, vor, daß, wenn von diesem Stoff, der 70 bis 80 Centimeter breit ist, ein Zwanzigstel von einem Meter fehlt, ein Abzug von 1 kr. gemacht wird. Die Leute wissen ganz gut, daß für ein Dutzend einfacher Wirthschaftsschürzen, die in Zwickel geschnitten werden, damit sie breiter aussehen und die vorzüglich in der Provinz gekauft werden, 11 Meter Stoff gebraucht werden, sie geben aber nur 10'/2 Meter her, und die Schürzen müssen gerade so breit sein wie mit 11 Meter. Sie werden einsehen, daß es unmöglich ist, aus einem bedeutend kleineren Stoffe dasselbe Quantum Waare herzustellen. Strafen an die Arbeiterinnen, z. B. für Zuspätkommen, kommen nicht vor, denn wenn eine zu spät kommt, so ist es althergebrachter Usus, daß sie Abends nachsitzen muß. Arbeit an Sonn- und Feiertagen, die in der Saison oft vorkommt, wird gerade so gezahlt wie die an Wochentagen. Nur sehr wenige Frauen zahlen, wenn sie nur bis 4 Uhr arbeiten lassen, den ganzen Tag. Die Arbeitslocale lassen sehr viel zu wünschen übrig. So sehen wir vornehmlich bei Denjenigen, welche