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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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nicht. Viele sind brüst- oder magenkrank; die dürfen kein Gemüse essen. Exp. Eßl: Der Gehilfenausschuß hat wiederholt Anzeigen wegen Nicht­einhaltung der Mittagspause gemacht, es hat aber nichts gefruchtet. Von Arbeiterinnen ist uns mitgetheilt worden, daß in dem Betriebe, in welchem die Expertin beschäftigt ist, auch an Sonntagen gearbeitet wird. Wir haben die Anzeige erstattet, der Chef ist vorgeladen worden, und da wurde ihm gesagt:Sie, es war so ein Rotzbub da, der hat gegen Sie die Anzeige gemacht. Sie müssen fl. 2 Strafe zahlen." Exp. Nr. 82: Seit der Zeit wird am Sonntag nicht mehr gearbeitet. (Ueber Befragen des Vorsitzenden.) Ueberstunden kommen nicht vor. Drei bis vier Arbeiterinnen, die einen minderen Lohn haben, nehmen sich auch Arbeit mit nach Hause. Das Ar­beitszimmer ist sehr groß, es hat sechs Fenster; in demselben sind 22 Per­sonen. Staub ist wenig. Zum Speisen haben wir ein besonderes Zimmer. Es sind drei Dienstboten im Haus. Bezüglich der Behandlung und der Sittlichkeitsverhältnisse muß ich bemerken: Ich habe bei demselben Herrn ge­lernt, wie die vor mir vernommene Expertin. Wenn man nicht flink war, hal er geschlagen oder gezwickt oder die Ohren gerissen, daß das Blut herausgeronnen ist. Der Herr hat einen Hund gehabt, und der ist ihm davongelaufen, weil er ihn zu viel geschlagen hat. Die Hundspeitsche hat er auch für die Lehrmädchen verwendet. Wenn wir uns verschlafen haben, ist der Herr in der Unterhose zu uns gekommen und ist nicht eher wegge­gangen, bis wir aufgestanden sind. Wenn wir nicht gleich aufgestanden find, hat er geschimpft, wie:Ihr Ludern, Canaillen, Schlampen", oder er hat das Bett mit Wasser angespritzt. Bei den Arbeiterinnen hat er es ebenso gemacht. Wenn die Arbeit nicht ganz entsprechend war, sind wir bestraft worden, indem wir kein Frühstück oder keine Semmel bekommen haben. Heute hat der Herr das Geschäft schon aufgegeben. Die Arbeiterinnen sind in meinem Betriebe größtentheils ledig. Die zwei Männer, die zum Aus- schlagen da sind, sind den Mädchen gegenüber sehr anständig. Ich bin ledig und habe nur für mich zu sorgen. Ich bin zu Bett und zahle fl. 1 Pro Woche. Ich wohne eine halbe Stunde vom Arbeitsorte. Die Wohnung besteht aus Zimmer und Küche. Zum Waschen und Ankleiden wird die Küche benützt. An Sonntagen esse ich bei meiner Quartierfrau. Unter der Woche habe ich beim Herrn auch das Nachtmahl. Dasselbe be­steht aus Wurst, Butterbrot oder oft trockenem Brot.

Frau Schlesinger: Sind Sie Wienerin? Exp. Nr. 82: Ja. Die Mutter ist schon lange gestorben. Sie hat mich, wie ich noch ein Säugling war, aufs Land gegeben.

Dr. Schwiedland: Warum wünschen Sie die Kost außer Hans zu haben? Exp. Nr. 82: Wenn ich auch im Wirthshause nichts Besseres bekomme, so kann ich mir doch kaufen, was ich will.

Dr. Schwiedland: Wie ist es mit dem Fleisch ? Exp. Nr. 82 : Wir bekommen hinteres Rindfleisch.

Dr. Schwiedland: Hängt Ihr Wunsch, die Kost außer Hause zu haben, nicht etwa auch damit zusammen, daß Sie dann frei weggehen und frische Luft schöpfen könnten? Exp. Nr. 82: Auch.

Dr. Schwiedland: Kommen die Magenkrankheiten, von denen Sie erwähnt haben, von der sitzenden Lebensweise oder von den Farben? Exp. Nr. 82: Mit den Farben komme nur ich in Berührung.

Dr. Schwiedland: Sind das Anilinfarben? Exp. Nr. 82: Ja. Man kommt auch mit den Lippen in Berührung.

Dr. Schwiedland: Haben Sie Zeit, sich zu waschen? Expertin Nr. 82: Nein. Wir müssen unser Brot mit den farbigen Händen essen.

Wittelshöfer: Wie wird die Arbeit, die nach Hause gegeben wird, bezahlt? Exp. Nr. 82: Das kann ich nicht sagen.

Wittelshöfer: Wird Ihnen von Kindern geholfen? Expertin