Dokument 
Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
Entstehung
Seite
284
Einzelbild herunterladen

284

16 . Sitzung, Montag. 16 . März, Ntzends.

forschender: Professor Dr. Warchet.

Beginn 7 Uhr 20 Minuten.

Vorsitzender: Wir schreiten zur Vernehmung von Unter­nehmern aus der Buchbinderei- und C a r t o n a g ew a a r e n- Branche. Vorher möchte ich bekanntgeben, daß von Seite desVereines der österreichisch-ungarischen Papierfabrikanten" eine Zuschrift eingelangt ist, in welcher darauf hingewiesen wird, daß die in der Enquöte gemachten An­gaben in Betreff von Uebelständen bei der Hadernfortirnng, Cigarettenpapier- fabrikation und Papier-Confection sich nicht aus Papierfabriken be­ziehen. Nachdem in Wien überhaupt keine Papierfabrik besteht, so ist das wohl selbstverständlich; ich constatire dies jedoch über Wunsch ausdrücklich mit dem Bemerken, daß die Aussagen bei der Enquöte sich auf Betriebe von Hadernhändlern und von Fabriken der Cigarettenpapier-Confection be­zogen haben.

Experte Herr Hermann Scheibe: Mein Betrieb ist eine Buchbinderei, doch werden auch Eartonagen gemacht. Ich verwende eine Dampfmaschine und beschäftige 60 bis 70 weibliche und 70 bis 80 männliche Arbeiter, aber manchmal auch mehr Frauen als Männer; das hängt von der Saison ab. Eartonagen sind bei mir Nebenartikel, nnd habe ich die Leute, die ich früher als Cartonagearbeiter aufgenommen hatte, auch das Falzen und Heften lernen lassen, damit sie in der Buchbinderei verwendet werden können. Die Saison ist in der Buchbinderei hauptsächlich September bis December, und dann ist auch sonst stets gegen Ende des Monats mehr zu thun. Ferner ist noch in der Schulbücherzeit Saison, und zwar oft den ganzen September hindurch ; es kommt auch vor, wie im Jahre 1895, daß es schon vom Juli an immer flott geht: genau läßt sich das nicht sagen. Auch ist etwa vom 25. bis letzten des Monats viel zu thun, weil es viele Arbeiten gibt, die am Ersten erscheinen müssen, z. B.Der Conductenr" oder periodische Schriften für Buchhändler. Arbeiterinnen sind in erster Linie beim Falzen und beim Heften sowohl mit der Hand als mit der Maschine be­schäftigt. Ich habe sieben Heftmaschinen, bei welchen ausschließlich Frauen beschäftigt sind, ebenso beim Einkleben von Bildern in die Texte, z. B. bei Meyer's Lexikon. Die Männer pressen die Bücher ein, sie machen die schwerere Arbeit. Beim Einhängen von Broschüren sind auch Mädchen be­schäftigt. Die Broschüren werden in großen Stößen gebracht, dann von den Mädchen auseinandergenommen und eingehängt. Bei der Maschine, die mit Dampf geht, hat das Mädchen mit dem Fuß die Bewegung zu leiten; es ist eine ganz mechanische Arbeit. Die Mädchen stehen im Accordlohn, z. B. für das Falzen von 1000 Bogen wird bei mir im Durchschnitt 28 kr. be­zahlt; ich habe gehört, daß in manchen Betrieben 25 kr., in manchen 30 kr. bezahlt werden, bei mir wird für Kleinoctav und Großoctav derselbe Preis von 28 kr. gezahlt. Es gibt vielleicht Betriebe, wo für Kleinoctav und Großoctav verschiedene Preise gezahlt werden. Es ist auch gleich, ob das Buch gebunden oder broschirt ist, denn es wird von vornherein darauf gesehen, daß jede Broschüre wie ein Buch gefalzt werde. Für die ver­schiedenen Formate gibt es verschiedene Preise, z. B. Quartformat ist auf zwei Striche zu falzen, und für das Tausend werden 25 kr., wenn es größer ist, wie z. B. das Folioformat, 40 kr. gezahlt. Prämien für das Falzen einer bestimmten Bogenzahl bestehen bei mir nicht; ich hatte das früher, doch bin ich davon abgekommen. Eine geschickte Arbeiterin falzt bis 5000 Bogen pro Tag, das wären also fl. 1'40. Beim Heften kann die Arbeiterin unter Umständen auch mehr verdienen; das wird auch nach