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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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Dr. Ofner: Wie viel Entlassungen kommen in einem Monat vor? Exp. v. Wagner: Es kommen mehrere Monate nacheinander vor, in welchen kein einziger Arbeiter ausgenommen oder entlassen wird. Dann kommen wieder Monate, in welchen fünf bis sechs Arbeiter aufgenommen oder entlassen werden. Das hängt auch mit der Saison zusammen. Ende November ist die schlechteste Zeit. Am letzten November wurden zehn bis zwölf Arbeiter und vielleicht 15 Arbeiterinnen entlassen.

Dr. Ofner: Wir haben gehört, daß sogenannte Agentinnen von den Salons in die Badeorte reisen, um Kunden zu acquiriren. Ist das auch bei Ihnen der Fall? Exp. v. Wagner: Es kommt vor, daß, wenn eine Dame ein Costüm haben will, eine Angestellte mit einer Collection in den betreffenden Ort geschickt wird. Wir haben aber keine eigenen Agentinnen, sondern es wird einmal diese, einmal jene hingeschickt.

Vorsitzender: Wie lang ist die Arbeitszeit? Exp. v. Wagner: Nenn Stunden, von 8 Uhr Früh bis halb 7 Uhr Abends, mit einer Mittags­pause von anderthalb Stunden und einer Pause von einer Viertelstunde um 5 Uhr. Ueberstunden werden sehr oft gemacht, speciell bei uns, weil wir sehr viel Fremdenkundschäst haben, bei welcher von einem Tag auf den anderen geliefert werden muß. Das ist auch die Ursache, daß hie und da ausgesetzt werden muß, denn wenn die Nacht durchgearbeitet wurde, ist vielleicht am nächsten Tag weniger zu thun. Es werden aber nur dann Ueberstunden gemacht, wenn es unbedingt nöthig ist, weil uns ja die Ueberstunden viel mehr kosten. Die Zeit, während welcher wir viel mehr arbeiten müssen, dauert drei Monate, nämlich März, April und October. In der Ballsaison kommt das weniger vor, weil wir da Wiener Kundschaft haben, die immer zur Zeit ihre Bestellungen macht. Die Ueberarbeiten rühren wesentlich durch Be­stellung von den fremden Privatkundschaften her. Diese reisen z. B. in's Bad und halten sich nur zwei Tage in Wien auf, während dieser Zeit muß die Arbeit fertig sein. (Ueber Befragen.) Die Arbeiterinnen und die Arbeiter stehen nur im Taglohn. Die Zubringerinnen sind Arbeiterinnen, die schon längere Zeit bei uns sind, zu denen wir Vertrauen haben. Die werden daher mindestens ebenso gut gezahlt wie die Näherinnen, oft noch besser. Ich habe mir über die Löhne, welche bei uns gezahlt werden, eine kleine Aufzeichnung gemacht. Der mindeste Lohn der Näherinnen beträgt 60 kr. pro Tag, auch die Lehrmädchen bekommen sofort 60 kr. Wenn sie eine Zeit lang da sind, bekommen sie mehr. Dann sind 2 Arbeiterinnen mit 70 kr., 1 Lehrmädchen und 23 Arbeiterinnen mit 80 kr., 8 mit 90 kr., 8 mit fl. 1, 7 mit fl. 1-10, 5 mit fl. 1'20, 5 mit st. 1'30, 7 mit fl. 1'40, 3 mit fl. 1'50, 6 mit fl. 1'60, 5 mit fl. 1'80, 4 mit fl. 2, 1 mit fl. 2'20 und eine mit fl. 2-15. Das sind Alles nur Näherinnen und Zubringerinnen. Gewöhnlich fangen die Mädchen mit 60 kr. an und bekommen nach sechs Monaten 70 kr.

Vorsitzender: Wie weit kaun es eine Durchschnittsarbeiterin im Lohn bringen, wenn sie sich auch nicht besonders qualificirt? Experte v. Wagner: Auf fl. 1 bis 1'50. (Ueber Befragen des Vorsitzenden.) Wenn Eine fl. 1'50 verdienen soll, da muß sie fleißig und tüchtig sein und auch schon längere Zeit bei uns gearbeitet haben. Oft bekommen sie auch schon am Ansang einen höheren Lohn. Sie kommen, bringen ihr Buch und zeigen mir, daß sie früher so und so viel gehabt haben. Wenn es mir paßt, so nehme ich sie gleich mit dem höheren Lohne, den sie früher gehabt haben, auf.

Vorsitzender: Sie sagten, bei Ihnen seien auch Arbeiterinnen aus besseren Ständen; haben die denn auch Arbeitsbücher? Experte v. Wagner: Ja wohl, die Genossenschaft sorgt dafür, daß nur solche auf­genommen werden, die zwei Jahre gelernt haben. Solche, die nur in einem Institut oder in einer Schule gelernt haben, werden bei uns nicht auf­genommen.