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Vorsitzender: Ich werde nunmehr zur Vernehmung der Expertinnen aus Ihrer Branche schreiten und ersuche Sie, uns eventuell ergänzende Mittheilungen zu machen. — Expertin Nr. 116 (über Befragen seitens des Vorsitzendem: Ich bin jetzt das erste Jahr in unserer Branche. Ich hatte eine Lehrzeit von sechs Monaten, während welcher ich anfangs 20 kr., später sl. 1 wöchentlich verdiente. Jetzt bin ich Vorrichterin für Herrenhemden. In unserem Betriebe arbeiten 14 Mädchen, von denen immer eine Vorrichterin und eine Maschiuuäherin zusammen arbeiten. Das Zuschneiden besorgt die Frau selbst. Außer Haiye werden nur eine Arbeiterin und zwei Knopflochnäherinnen beschäftigt. Die Arbeiterin war früher auch in: Geschäft, jetzt arbeitet sie zu Hause, weil sie geheiratet hat. Wir haben jetzt ein Lehrmädchen, das zwei Jahre lernen muß und dann anfgedungen wird; dasselbe bekommt Wohnung und Kost, aber keine Bezahlung. Die Arbeiterinnen stammen meist aus Ärbeiterfamilien. Wir haben keine Arbeitsvermittlung. sondern suchen uns durch die Zeitung eine Stelle. Ich habe fl. 6 fixen Wochenlohn. Die Maschinnäheriunen haben sl. 8. Bei unserer Frau ist das ganze Jahr Arbeit, anderwärts aber ist im Winter meist wenig oder gar nichts zu thun. Unsere Frau hat im Winter Lagerarbeit. Alle Arbeiterinnen sind bei uns im Wochenlohn, zwei Vorrichterinnen haben fl. 5 und zwei andere fl. 6. Wir müssen Stecknadeln und Centimetermaß selbst beistellen ; das kommt nicht besonders hoch. Ueberstunden werden bei uns nicht gemacht; die Frau möchte wohl, daß im Sommer eine Extrastunde gemacht wird, aber letzten Sommer war das nicht der Fall. Bor zwei oder drei Jahren sind noch Ueberstunden gemacht worden. Unsere Arbeitszeit ist von 7 Uhr Früh bis 7 Uhr Abends mit einer einstündigen Mittagspause, aber ohne Frühstücks- und Jausenpause. Strafen und Abzüge, etwa für das Zufpät- kommen, werden nicht gemacht. Wir haben eine 14tägige Kündigungsfrist.
Stroß: Machen Sie Kundenarbeit, oder arbeiten Sie für Engros- geschäfte? — Exp. Nr. 116: Für Detailgeschäfte in der Stadt. Die Frau bekommt den Stoff und liefert die fertigen Hemden an das Geschäft.
Stroß: Ist an Ihren Wochenlohn die Bedingung geknüpft, daß Sie eine bestimmte Anzahl Hemden fertigstellen müssen? — Exp. Nr. 116: Nein, es ist nicht so genau, aber wir müssen halt immer fortarbeiten. Strafen für geringere Arbeitsleistung bestehen nicht.
Dr. Ofner: Wie viel haben Sie für Ueberstunden bekommen? — Exp. Nr. 116: 10 kr.; die weniger Lohn hatten, haben weniger bekommen.
Dr. Frey: Machen die Uebrigen auch alle Herrenhemden? — Expertin Nr. 116: Ja.
Dr. Ofner: Sitzen Sie den ganzen Tag? — Exp. Nr. 116: Ja. (Ueber Befragen des Vorsitzenden.) Wir wohnen Alle außer dem Hause und haben für Beleuchtung u. dergl. nicht Sorge zu tragen. Als Arbeitslocal haben wir ein gewöhnliches Zimmer mit zwei Fenstern, in dem alle Mädchen arbeiten. Es ist im dritten Stock gelegen, und die Fenster gehen in den Hof. Es find mit der Frau und den Lehrmädchen im Ganzen 16 Personen in dem Zimmer. Im Sommer ist es darin sehr warm; gebügelt wird bei uns nicht. Es muß immer viel geredet werden, bis gelüftet wird, denn nicht nur die Mädchen, sondern auch die Frau ist empfindlich; im Winter ist ihr zu warm und im Sommer zu kalt. Zu Mittag haben wir das Essen von einem Gasthause, das im Hause befindlich ist, und verzehren es im Zimmer oben.
Vorsitzender: Gehen Sie nicht wenigstens zu Mittag ein bischen in die Luft? — Exp. Nr. 116: Die Zeit ist sehr kurz bemessen; während man unten wartet, das Essen heraufholt und es verzehrt, ist es ohnehin schon 1 Uhr. (Ueber Befragen des Vorsitzenden.) Einige der Mädchen gehen nach Hause essen. Unsere Frau ist die einzige Partei auf dem Gang, und da haben wir einen Abort. Wir haben nur die Frau als Vorgesetzte; es ist zwar ein Mann da, der auch gerne etwas dreinreden möchte; aber er h at