Dokument 
Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
Entstehung
Seite
461
Einzelbild herunterladen

461

Dr. Verkauf: Vielleicht zu theuer? Exp. Nr. 123: Zu theuer nicht, aber nicht genießbar. Im Winter war einmal ein Gollasch, das hat die Mehrzahl stehen gelassen, und die, welche es gegessen haben, hat nur der Hunger dazu getrieben. Einige Arbeiterinnen, welche sich darüber aus­gehalten und gesagt haben, daß das ein Schweinefutter ist, hat man an­gewiesen, sich streichen zu lassen; es hat geheißen, man bringe die Kost ohnedies an.

Dr. Verkauf: Ist das richtig, daß man sich einige Tage vorher melden muß? Exp. Nr. 123: Ja.

Dr. Verkauf: Warum lassen sich die Arbeiterinnen nicht selbst streichen, wenn die Kost ihnen nicht schmeckt? Exp. Nr. 123: Es lassen sich Einige streichen, aber die, welche dagegen sind, sind ohnmächtig, die Anderen sagen:Es kostet nur 11 kr., und ein Stnckl Fleisch ist doch etwas."

Dr. Verkauf: Vielleicht bleiben nur Diejenigen dort, welche weiter wohnen? Exp. Nr. 123: Ja.

Dr. Verkauf: Und die in der Nähe wohnen? Exp. Nr. 123: Die gehen nach Hause essen.

Dr. Verkauf: Es gibt also Manche, denen das Essen doch noch zu theuer ist? Exp. Nr. 123: Zu theuer nicht, aber zu wenig. Man kann nicht satt werden.

Dr. Verkauf: In dem Bericht heißt es, daß das Mittagmahl mit Rücksicht auf den gerigenn Kraftaufwand bei der Arbeit für die weibliche Arbeiterschaft vollständig ausreicht. Das haben die Herren niedergeschrieben, welche es wissen müssen. Ist das richtig? Brauchen Sie sich wirklich so wenig anzustrengen, und sättigt das Mahl wirklich? Exp. Nr. 122: Ich habe nur einmal dort gegessen, und da habe ich in einer Viertelstunde wieder Hunger gehabt. Exp. Nr. 123: Ich habe öfter dort gegessen, kann mich aber nicht rechnen, weil mein Magen schwach ist. Exp. Nr. 124: Ich möchte alle Tage zweimal nacheinander dort essen.

Dr. Verkauf: Ist es nur eine Eigenthümlichkeit von Ihnen, oder macht Ihnen die Arbeit so viel Appetit? Exp. Nr. 124: Wenn man den ganzen Vormittag nichts gegessen hat, bekommt man ja Hunger, und das Essen ist nicht so viel. Exp. Nr. 123: Namentlich von hem Gemüse könnte mehr sein.

Dr. Verkauf: Ist das Essen an Fasttagen ausreichend und genieß­bar? Exp. Nr. 123: Eine Einbrennsnppe und Milchreis, kleine Portionen. Es könnte Eine das Doppelte essen. Die Einbrennsnppe ist nur Wasser.

Dr. Verkauf: Ein Theil der Arbeiterinnen speist nicht dort, bleibt aber in der Fabrik; was genießen diese? - Exp. Nr. 123: Die nehmen sich Kaffee mit und wärmen ihn, kaufen sich auch Wurst dazu. Manche holen sich aus dein Wirthshause um 3 kr. Gemüse. Das sind Arbeiterinnen, welche nur sl. 3 bis 4 verdienen.

Dr. Verkauf: Also in diese Suppenanstalten gehen nur die, welche einen größeren Verdienst haben? Exp. Nr. 124: Manche sagt, daß sie sich nicht einmal die Speisemarken für 66 kr. am Samstag vergönnen kann.

Dr. Verkauf: Wo lösen Sie die Speisemarken? Exp. Nr. 124 : Bei den Ausschußfrauen; in jedem Saale sind zwei bis drei solche, und diese verkaufen die Speisemarken am Samstag im Vorhinein.

Dr. S ch w ie d l and : Warum treten im Sommer Viele aus der Kost aus? Exp. Nr. 123: Da ist eine Stunde Pause, und man geht lieber hinaus.

Dr. Schwiedland: Sie meinen also, daß im Winter Viele durch die kurze Pause und das schlechte Wetter gezwungen sind, zu bleiben? Exp. Nr. 123: Ja.