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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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ein Bruder, der ausgelernter Commis ist, eine ältere Schwester, ein elfjähriger Bruder und ich. Mein Vater ist gestorben, er war angestellt; meine Mutter geht Hausiren und ist die eigentliche Erwerbskraft der Familie. Es ist verschieden, was ich meiner Mutter beisteure. Im Sommer reflectirt sie nicht so auf unseren Verdienst, wir geben ihr nur, was wir gerade haben. Ich bin im Fachverein der Metallarbeiter, dann in der allgemeinen Krankenkasse und zahle 17 kr. wöchentlich; vom Institute aus wird die Krankenversicherung nicht vermittelt. Im Krankheitsfälle bekomme ich fl. 4'20. Unterhaltung mache ich selten mit. Mit meiner Mutter kann ich ja nicht gehen, denn alte Leute sind nicht vergnügungssüchtig. Ich gehe nur in den Fachverein oder höchstens manchmal in's Theater oder in Concerte. Ich lese die Arbeiter-Zeitung".

Baronin Vogelfang: Wann geht Ihre Mutter Hausiren? Exp. Nr. 184: Sie geht im Sommer hauptsächlich aufs Land zu den Köchinnen mit Wäsche Hausiren.

Dr. Schwiedland: Was für Concerte besuchen Sie? Expertin Nr. 184: Civil- oder Militär-Concerte, Concerte des Volksbildungsvereines besuche ich äußerst selten.

Expertin Nr. 185 (über Befragen des Vorsitzenden): Ich bin Inhaberin einer Handschuhnäherei und beschäftige je nach dem Geschäftsgänge sechs bis neun Arbeiterinnen. Wenn das Geschäft gut geht, habe ich sechs Näherinnen und drei Ausfertigerinnen, welch letztere die Knopflöcher machen, die Schnitzeln niedernähen und die Knöpfe annähen. Es arbeitet immer eine Ausfertigerin mit zwei Näherinnen. ^ Ich habe diesen Betrieb seit dem Jahre 1888. Früher war ich selbstständige Heimarbeiterin und habe mit meiner eigenen Maschine für Fabrikanten gearbeitet. Ich selbst habe jetzt mehrere Maschinen. Einige Mädchen habe ich in ganzer Verpflegung, einige gehen nach Hause. Die Maschinnäherinnen sind per Stück bezahlt und bekommen für ein Paar Handschuhe, das auf der Maschine genäht wird, 6 kr. Von den acht Arbeiterinnen, die ich jetzt beschäftige, wohnen sechs bei mir und die anderen zwei außer Hans. Das Geschäft geht so ziemlich das ganze Jahr gleich, nur im Sommer und im Fasching etwas schlechter. Ich entlasse da gar keine Arbeiterin, wenn sie nicht in Folge des schlechten Geschäftsganges selbst gehen. Ich bekomme die Handschuhe vom Fabrikanten zugeschnitten und habe blos das Nähen und Passepoiliren zu besorgen. Die Arbeiterinnen kommen meist aus Böhmen, und zwar aus der Gegend von Przibram. Ich bin auch aus Böhmen, dort sind große Nähanstalten, woher die Mädchen bereits als ausgelernte Arbeiterinnen kommen. Wir haben keine Arbeitsvermittlung. Wenn ich Jemanden geschwind brauche, so gebe ich eine Annonce in die Zeitung. Bekomme ich eine Arbeiterin, so ist es gut, bekomme ich keine, so kann ich eben mit der Arbeit nicht nachkommen. Ich arbeite für einen Exporteur in Wien und für ein Geschäft in der Provinz.

Dr. Frey: Wissen Sie, wie viel solche Nähanstalten es in Wien gibt? Exp. Nr. 135: Ich kenne vier bis fünf und glaube nicht, daß es mehr gibt.

Dr. Frey: Man hat uns gesagt, daß es in Wien nur eine große Fabrik gibt, wo in der Fabrik selbst gearbeitet wird, sonst seien lauter Sub- unternehmer, welche die Arbeiterinnen meist aus Böhmen beziehen. Exp. Nr. 135: Die große Fabrik hat über 100 Arbeiterinnen. Unter diesen sind nur wenige Näherinnen. Weil die Noth unter den Arbeiterinnen in Wien zu groß ist, so schickt der Fabrikant beinahe die ganze Näharbeit aufs Land in große Nähanstalten. Ueberhaupt wird das Gros der Waare in den Nähanstalten aus dem Lande, in Wien aber eigentlich nur die Postarbeit sabricirt. Solche Nähanstalten gibt es in Böhmen, dann auch in Nieder- österreich.