Dokument 
Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
Entstehung
Seite
500
Einzelbild herunterladen

500

Tr. Schwiedland: Sind im Laufe der Zeit, seit welcher Sie arbeiten, die Preise seitens der Fabrikanten herabgesetzt worden? Expertin Nr. 135: Vor zehn Jahren habe ich für ein Paar gewöhnlicher Herren­handschuhe, für welches ich heute 9 bis 10 kr. bekomme, 13 kr. bekommen. Dieser Preisdruck rührt von der Coneurrenz der ländlichen Nähanstalten her.

Dr. Schwiedland: Ist der Lohn der Arbeiterinnen, seitdem Sie arbeiten, gleichgeblieben? Exp. Nr. 135: Ja, ich habe immer 6 kr. gezahlt, und es ist nur mein Schaden, wenn die Fabrikanten heute weniger zahlen. Bei manchen Handschuhen verdiene ich nur 1 kr. Ich stehe mich heute schlechter als vor zehn Jahren, wiewohl ich mehr Arbeit habe. Die Ver­mehrung der Quantität der Handschuhe gleicht die Verminderung der Be­zahlung nicht aus. (Ueber Befragen des Vorsitzenden.) Ich habe früher das AusfeAigen nach Stück gezahlt, jetzt zahle ich die Aussertigerinnen pro Monat. Für das Einsassen der Herrenhandschuhe haben die Mädchen blos 1 kr. bekommen, und da waren sie schlechter daran, als jetzt im Monats­lohn. Ich gebe ihnen jetzt sl. 7 monatlich, fl. 3 Nachtmahlgeld und ganze Verpflegung. Die Maschinnäherinnen, welche im Accordlohn stehen, zahlen mir für die Verpflegung fl. 3'10 wöchentlich; dafür haben sie ein Bett, Frühstück, Mittag und Jause. Die auswärts wohnenden Arbeiterinnen, deren ich nur zwei habe, zahlen für Mittag und Jause wöchentlich fl. 1-68. Sie bekommen in der Früh Kaffee und Semmel, zu Mittag Suppe. Fleisch, Gemüse und Brot, und zur Jause wieder Kaffee. Ein Mädchen schläft im Arbeitszimmer und sechs in einem Alkoven; je zwei haben zusammen ein Bett. Wenn eine Arbeiterin etwas verdirbt, zum Beispiel einen Handschuh fleckig macht, so muß entweder ich oder die Arbeiterin ihn dann dem Fabrikanten um sl. 1 oder 90 kr. abnehmen.

Tr. Schüller: Wie viel verdienen Sie durchschnittlich an einem Paar Handschuhe? Exp. Nr. 135: An manchem 2, an manchem 1 kr.

Dr. Schüller: Wenn man 2 kr. der Berechnung zu Grunde legt, so würden Sie fl. 80 monatlich über den Arbeitslohn verdienen, wovon Sie die Maschinen und alles Uebrige zu bezahlen hätten. Exp. Nr. 135: Ich verdiene an den Arbeiterinnen täglich fl. 1 bis l'30. Ich selbst mache noch außerdem täglich 6 Paar Handschuhe und verdiene also auf diese Weise durch meine eigene Arbeit außerdem.

Vorsitzender: Wo ist Ihr Betrieb? Exp. Nr. 135: Im VII. Bezirk.

Dr. Schwiedland: Kommt auch der Gewerbe-Jnspector zu Ihnen? Exp. Nr. 135: Er war voriges Jahr zweimal bei mir, da ich angezeigt worden bin, er hat aber meinen Betrieb ganz zufriedenstellend gefunden; er hat sich nur erkundigt, ob alle Arbeiterinnen in der Kranken- caffe sind und Arbeitsbüchel haben. Nach einiger Zeit ist er wieder gekommen, aber zu dem Geschäftsmann, der mich angezeigt hat, kommt er öfters.

Vorsitzender: Weshalb hat er Sie denn angezeigt? Expertin Nr. 135: Weil es ihm nicht recht ist, daß ich die Arbeiterinnen per Stück bezahle. Er hat nämlich bei sich Arbeitstheilung eingeführt, und da arbeiten die Mädchen viel mehr und verdienen auch mehr, trotzdem er die Waare billiger herstellt. Er verdirbt den Preis, er arbeitet um 9 kr.

Dr. Schwiedland: Wenn er mehr verdient, warum ist er Ihnen aufsässig? Exp. Nr. 135: Weil von ihm Arbeiterinnen weggelaufen sind und zu mir kamen. (Ueber Befragen des Vorsitzenden.) Ich muß keine Geschenke an Manipulanten und Angestellte geben. Das Arbeitslocal, welches im zweiten Stock liegt, besteht aus einem Zimmer mit zwei Fenstern, worin acht Mädchen arbeiten. Die Reinigung wird von einem Dienstmädchen besorgt; es wird täglich zweimal ausgekehrt und wöchentlich gerieben. Im Arbeits­zimmer wird auch gegessen und geschlafen. Wenn die Arbeiterinnen Feier­abend machen, so ziehen sie sich an und gehen spazieren; inzwischen wird