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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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29. Sitzung, Dienstag, 14. Ngril 1896.

forschender: Dr. Verkauf.

Beginn 7 Uhr 20 Minuten Abends.

Vorsitzender: Wir werden heute Experten aus dem Kürschnergewerbe, ferner Wirker und Bleicher vernehmen. Ich bitte den Herrn Experten Karl Karps, uns über das Kürschuergewerbe Auskunft zu geben. Exp. Karpf: Die Zahl der im Kürschnergewerbe beschäftigten Frauen und Mädchen be­trägt in der Saison 120 bis 150, nebst 500 Arbeitern. Die Zahl der Be­triebe beträgt ungefähr 200, zum größten Theil sind es Kleinbetriebe. Wir verstehen in unserem Gewerbe unter einem Großbetriebe eine Fabrik, wo 1215 Arbeiter beschäftigt sind, ein kleiner Betrieb hat nur zwei bis drei Personen. Da arbeitet der Gewerbe-Inhaber mit und hat auch zwei bis drei Lehrlinge. Die Frauen sind in großen und kleinen Betrieben be­schäftigt, und zwar am meisten in den größten Betrieben. Es sind in diesem Gewerbe sehr viele Zwischenmeister und auch solche Arbeiter, welche keinen Gewerbeschein haben, die aber zu Hause eine Werkstätte besitzen und mehrere Arbeiter beschäftigen. «Auf Befragen.) Wir bekommen die Felle zumeist von auswärts; es sind aber auch in Wien Fabriken, wo das Rohmaterial zubereitet wird. Zu dieser Arbeit werden keine Frauen verwendet, nur in einer Fabrik ist eine einzige Frau beschäftigt. Das zubereitete Fell wird von den männlichen Arbeitern zugeschnitten und dann von den Arbeiterinnen genäht. Das geschieht in kleinen Betrieben mit der Hand, in größeren dagegen mittelst Pelzmaschinen, welche den Zwischeumeistern von dem Fabrikanten gegeben werden. Der Zwischenmeister zahlt die Maschine in Raten aus und muß dem Fabrikanten fl. 10 bis 15 mehr zahlen. Eine Maschine kostet nämlich fl. 85, der Fabrikant rechnet sie dem Arbeiter aber mit fl. 100 an. Diese Maschinarbeit ist ziemlich anstrengend; auch wird viel Staub erzeugt. Die Arbeiterin muß den ganzen Tag an den Maschinen nähen. Wir haben durchschnittlich 10 bis 12 Stunden Arbeitszeit, in der Saison aber, welche von Mitte September bis December währt, beträgt die Arbeitszeit sammt lleberstunden 15 bis 18 Stunden. Die Arbeit ist in den größeren Betrieben getheilt. Einige Frauen sind Maschinnäherinnen, einige sind Stepperinnen, andere wieder Ausfertigerinnen von Pelzstücken, welche die Arbeiter ansangen, und haben zu steppen, Futter einzunähen u. s. w. Das Alles sind etwas leichtere Arbeiten, die werden mit der Hand gemacht. Andere Arbeiten haben die Frauen nicht zu thnn. Nach Schluß der Saison reducirt sich die Zahl der Arbeiterinnen auf 50. Da werden die Arbeiterinnen entlassen. Von August an steigt wieder die Zahl der be­schäftigten Arbeiterinnen.

Vorsitzender: Was geschieht mit den Arbeiterinnen, welche nach der Saison entlassen werden? Exp. Karpf: Das läßt sich schwer be­antworten. Wir haben nämlich keine gelernten Kürschnerei-Arbeiterinnen, sondern meist solche, welche aus der Kleidermacher-, Modisten- und Hand­schuhbranche zur Kürschnerei übergegangen sind. Vielleicht gehen dann in der schlechten Zeit die einzelnen zu ihren früheren Branchen zurück. Wenn die Saison wieder anfängt, kommen aber nicht alle zur Kürschnerei zurück, sondern vielleicht nur 20 Percent derselben, während auch sehr viele ueue Arbeiterinnen zuwachsen. (Ueber Befragen.) Motorenbetrieb haben wir nicht. Ich kenne auch das Gewerbe von auswärts. Da ist die Entwicklung der Frauenarbeit bedeutend stärker als bei uns. In England sind zum Beispiel 900 Arbeiter und 18.000 Arbeiterinnen, in Brüssel 31 Arbeiter und 400 Arbeiterinnen. Unser Productionsproceß unterscheidet sich von dem auswärts dadurch, daß in Wien, in den zumeist vorherrschenden Mittel-