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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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Dr. Schüller: Wo wärmen Sie im Sommer Ihr Mittagessen? Exp. Nr. 142: Es laufen in der Erde Dampfrohre, da stellen wir das Geschirr d'rauf. Es ist zwar nicht sehr appetitlich, aber es wird doch gewärmt.

Dr. Frey: Wie viel Personen sind in dem Arbeitsraume, wo Sie arbeiten? Exp. Nr. 142: Die Fabrik bildet einen Saal, der nur in die einzelnen Abtheilungen zerfällt.

(W ittelshöfer übernimmt den Vorsitz.)

Vorsitzender: Lesen Sie Zeitungen? Exp. Nr. 142: Wenn ich Zeit habe. Manchmal kaufe ich mir eine oder leihe sie mir aus.

Vorsitzender: Welche Zeitung? Exp. Nr. 142: DieArbeiter- Zeitung" oder dieArbeiterinnen-Zeitung".

Porsitzender: Nicht dasExtrablatt" ? Exp. Nr. 142: Das lesen die Anderen sehr gern.

Bardorf: H>Mn Sie Kinder gehabt? Exp. Nr. 142: Nein. Diese zwei habe ich erheiratet.

Expertin Nr. 143: Ich bin auch verheiratet und bin in der Weberei beschäftigt. Dort bin ich seit drei Jahren, in der Fabrik seit 15 Jahren. Früher war ich zwölf Jahre in der Spulerei. Der Verdienst ist in der Weberei etwas besser als in den anderen Abtheilungen. Bevor ich in diese Fabrik gekommen bin, war ich nicht in Arbeit. Ich bin in Wien geboren. Ich bin bei einem Webstnhl. Wenn etwas abreißt, habe ich es anzuknüpfen, ich muß die Schützen einlegen u. s. w. Es kommt auch vor, daß Eine auf zwei Web­stühlen arbeiten muß; das ist aber sehr selten.

Vorsitzender: Kann das Eine bewältigen?Exp. Nr. 143: Ja, wenn sie eine gute Arbeiterin ist.

Vorsitzender: Sind dort lauter Frauen beschäftigt ? Exp. Nr. 143: Auch Männer. Sie haben dieselbe Arbeit, nur sind sie bei den größeren Maschinen, und die Waare ist breiter. Die Männer verdienen mehr als die Frauen. Ihre Arbeit ist auch schwerer. Die Arbeitszeit ist dieselbe. Auch die Pansen, sowie die Reinigungsverhältnisse bleiben sich gleich.

Vorsitzender: Was verdienen Sie? Exp. Nr. 143: Wenn es gut geht, fl. 6 bis 7. Ich komme aber auch öfters nur auf fl. 5, aber selten. Ich könnte mehr verdienen, wenn ich den Meister ersuchen würde, mich zu einer breiteren Maschine zu geben. Ich habe aber ohnehin immer Bruststechen und Husten, und so thue ich es nicht.

Vorsitzender: Kommt es oft vor, daß nicht immer zu thun ist? Exp. Nr. 143: Nicht oft.

Vorsitzender: Ueberstunden haben Sie auch nicht? Exp. Nr. 143: Nein. Die Abzüge und Strafen sind bei uns wie in den anderen Abtheilungen. Bei uns sind sie aber sehr heikel. Wenn nur ein kleiner Fehler in der Arbeit ist, muß man sich herstellen und beschimpfen lassen und bekommt obendrein 20, 30 kr. Strafe.

Vorsitzender: Wie wird der Lohn berechnet? Exp. Nr. 143: Nach dem Meter. Wir wissen, was wir für 100 Meter bekommen.

Vorsitzender: Wissen Sie, was Sie am Ende der Woche gemacht haben? Exp. Nr. 143: Ja, es wird Alles bei der Maßmaschine abge­messen und in ein Buch eingetragen. Es wird in unserer Gegenwart ge­messen.

Vorsitzender: Versäumen Sie dadurch nicht Zeit? Expertin Nr. 143: Das geht sehr schnell, dauert höchstens zwei Minuten. Die Maschine darf nicht stehen bleiben. Unterdessen arbeitet die Nachbarin an meinem Stuhl weiter.

Dr. Frey: Wie viel Meter weben Sie an einem Tag? Expertin Nr. 143: Je nachdem der Schlag ist. Etwa 200 Meter im Tag. Da werden 56 kr. für 100 Meter gezahlt, für die bessere Waare 70, 80, 90 kr. und auch fl. 1.