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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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Vorsitzender: Wie ist Ihr Aufseher? Exp. Nr. 143: Manchmal ist er barsch. Er kommt a»er bald wieder, um es gutzumachen. Man kann sich über ihn nicht beschweren.

Vorsitzender: Wie leben Sie? Exp. Nr. 143: Ich esse im Wartesaal, weil ich zu weit nach Hause habe. Die Mutter kocht zu Hause, und da nehme ich mir das Essen mit. In der Früh nehme ich Kaffee, zur Jause nehme ich meist einen halben Liter Bier, zum Gabelfrühstück eine Flasche Kaffee und ein Stück Brot. Abends koche ich oft.

Dr. Ofner: Haben Sie auch viel Staub? Exp. Nr. 143: Wir haben weniger.

Dr. Ofner: Waren Sie schon kränklich, wie Sie in die Fabrik ge­kommen sind? Exp. Nr. l43: Ich war immer sehr gesund.

Dr. Ofner: Wie lange waren Sie in der Fabrik, wie Sie zum ersten Male krank wurden? Exp. dir. 143: Das war im borigen Jahr. Da war ich im Spital und habe mich untersuchen lassen.

Dr. Schriller: Wie sucht man es zu verhindern, daß Material ab­handen kommt? Exp. Nr. 143: Jede Arbeiterin muß beim Hinaus­gehen, wenn sie ein Körbchen trägt, dasselbe öffnen. Sonst wird nichts untersucht.

Bardorf: Sie sagten, unter dem früheren Director war es anders. Exp. Nr. 142: In mancher Beziehung. Freilich hat in der Fabrik Manches gefehlt, während jetzt Verschiedenes gemacht wird, was zur Ge­sundheit der Arbeiter dient. Das macht die Arbeiterbewegung.

Bardorf: Ich kann mich erinnern, daß der frühere Director mit den Arbeitern ziemlich in Fühlung stand. Exp. Nr. 142: Ich habe einmal bei Nacht gearbeitet, und da sind mir die Schuhe gestohlen worden. Meine Mutter hätte mir nicht gleich andere gekauft. Da hat mir der Director etwas daraufgegeben. Das würde jetzt gewiß nicht geschehen. Früher mußten wir den ganzen Tag und bis 12 Uhr Nachts arbeiten. Da haben wir in der Fabrik geschlafen. Das kommt aber schon seit Jahren nicht mehr vor.

Vorsitzender: War der Gewerbe-Jnspector bei Ihnen? Exp. Nr. 141: Es hat geheißen, er kommt. Da ist schnell zusammengeräumt worden. Gesehen haben wir ihn nicht, weil wir ihn nicht kennen. Die Leute sagen, es wäre besser, wenn der Gewerbe-Jnspector sich nicht früher an­melden würde. Wenn er angemeldet wird, werden alle Vorbereitungen ge­troffen, daß Alles in Ordnung ist.

Vorsitzender: Was ist denn nicht in Ordnung? Exp. Nr. 141: Es wird zusammengekehrt, die Maschinen werden abgestaubt und die Gänge freigemacht.

Dr. Schüller (zur Exp. Nr. 142): Sind Sie vom Gewerbe- Jnspector schon einmal befragt worden? Exp. Nr. 142: Nein.

Schluß der Sitzung 11 Uhr Nachts.

30. Sitzung, Donnerstag, 16. Npril 1896.

Vorfchender: Dr. Ofner.

Beginn der Sitzung 7 Uhr 30 Minuten Abends.

Vorsitzender: Wir schreiten zur Vernehmung der Unternehmer- Experten aus der Goldstickereibranche, der Metallbranche und der Appretur.

Experte Herr Alexander Geißler (über Befragen des Vorsitzenden): Ich bin Inhaber eines Kunststickereibetriebes. Mein Geschäft existirt seit