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Vermittlung, weil durch die Genossenschaft in dieser Richtung nichts geschieht. Es melden sich daher die Mädchen meist selbst, um Arbeit zu bekommen. Wir sind nämlich zwangsweise in einer Genossenschaft, die ganz andere Interessen hat als wir. Wir sind 30 Kunststickereien, welche in der Posa- mentirer-Genossenschaft sind. Da sind Posamentirer, Goldschläger, Lampen- dochtfabrikanten d'rin, welche ganz andere Geschäftsinteressen haben als wir. Die Posamentirer zum Beispiel bevorzugen die Winkelarbeit, weil man ihnen billige Arbeit in's Haus bringt. Wenn ich zum Beispiel Posamentirer- arbeit brauche, so kaufe ich mir dieselbe beim Posamentirer, da sie mir dort billiger kommt als wenn ich sie selbst machte, weil ich keine so billigen Arbeitskräfte habe. Durch die Zeitungen kann die Arbeitsvermittlung auch nicht erfolgen, weil die so erhaltenen Leute selten zu brauchen sind. Die Heimarbeiterinnen haben dieselbe Arbeit wie die Arbeiterinnen im Geschäft, jedoch mit dem Unterschiede, daß Fahnenbänder u. dergl. unter meiner Aufsicht verfertigt werden, während zum Beispiel Uniformen von den Heim­arbeiterinnen allein gestickt werden können. Wir schenken unseren Arbeiterinnen sehr großes Vertrauen, da sie meist bei uns gelernt haben und schon viele Jahre im Hause sind. Deshalb brauchen wir uns auch nicht zu fürchten, wenn wir ihnen unser ziemlich kostbares Material anvertrauen.

Wittelshöfer: Ich ersehe aus Ihren Ausführungen, daß speciell Ihr Geschäft ein Kunstgewerbe ist? Exp. Geißler: Ja.

Wittelshöfer: Ist Ihnen bekannt, ob in anderen Geschäften Ihrer Branche die Verhältnisse dieselben sind wie bei Ihnen? Experte Geißler: In den guten Geschäften, ja.

Wittelshöfer: Auch in Bezug auf die Saison? Experte Geißler: Ja. (Ueber Befragen des Herrn Wittelshöfer.) Im Winter kommt es vor, daß die Mädchen vielleicht nur bis 5 Uhr arbeiten. Das ist ihnen ganz recht; dafür kommen im Sommer oft Ueberstunden vor, was ihnen auch recht ist, weil sie dafür mehr bezahlt bekommen.

Wittelshöfer: Ist die Fertigkeit der Arbeiter aus niederen Kreisen dieselbe wie der aus höheren Kreisen? Exp. Geißler: Die sogenannte Sprengarbeit wird in den Schulen gar nicht gelehrt. Das ist jene Arbeit, wo das Gold blos oben aufliegt und darunter Seide ist. Es ist also eine erhabene, eine Reliefstickerei. Wenn z. B. im Frauen-Erwerbverein solche Arbeit gebraucht wird, so schickt man die Leute zu uns; in den Schulen wird nur die Flachstickerei gelehrt. Ich habe noch keine einzige Goldstickerin, wie wir sie brauchen, gefunden, die aus einer Schule gekommen wäre, und selbst unter den Seidenstickerinnen ist unter 20 eine zu brauchen. Die Mädchen aus den Schulen arbeiten eben nicht schön und genau genug.

Wittelshöfer: Wie viele Lehrmädchen haben Sie? Experte Geißler: Zwei.

Dr. Schwiedland: Es gibt kleine Betriebe, wo viele kleinere Arbeiten gemacht werden. Dort sind die Preise sehr niedrig, so daß sich daraus schließen läßt, daß die Arbeiterinnen schlecht bezahlt werden. Exp. Geißler: So ist es.

Dr. Schiff: Wie lange dauert es, bis sich ein Lehrmädchen die er­forderliche Fertigkeit erworben? Exp. Geißler: Ich möchte da eine Parallele ziehen. Jeder Mensch kann, wenn er zwei Stunden Billard spielt, das Spiel erlernen. Unter 50 werden 49 ihr Leben lang auf der Stufe stehen bleiben, auf welcher sie nach drei Monaten angelangt sind. Und der Fünfzigste wird ein sehr guter Billardspieler werden. Bei uns ist es genau so. Um sämmtliche Arbeiten zu erlernen, sind drei Jahre unbedingt nothwendig. Nun hat nicht jede Arbeiterin das Talent, daß sie sich zu jeder Arbeit eignet. Unter 50 Goldstickerinnen ist nur eine, die zur Wappenstickerei verwendet werden kann. Die gewöhnliche Sprengarbeit erlernt jedes Mädchen in einem halben oder drei Vierteljahren. Aber es gibt sehr Viele, die nicht darüber