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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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die Lackirerin mit dem Pinsel auf die rotirende Kapsel die Farbe aus, und eine geübte Arbeiterin kann aus diese Weise 3000 Kapseln täglich machen. Durch den Lack entsteht im Local ein gewisser Geruch; da aber der Lack gewöhnlich etwas Lavendel enthält, welcher sogar als Kriterium für die Güte des Lackes gilt, so ist dieser Geruch nicht unangenehm. Die Farben sind Anilinfarben, die mit Spiritus angemacht werden, und die hiedurch entstehenden Dämpfe können, da das Local sebr groß ist und viele Fenster hat, leicht entweichen und den Arbeiterinnen nicht schaden. Ueberdies ist das Local mit Ventilationen und Oeffnungen zur Zuführung frischer Luft ver­sehen. Ich halte den Aufenthalt in der Lackirerei für durchaus nicht gesundheitsschädlich, und es kommen bei mir von den sogenannten Berufs­krankheiten nur selten Fälle von Bleikolik vor; das ist jedoch nur meist in der Schmelzerei der Fall. Daß die Arbeit nicht gesundheitsschädlich ist, beweist, daß mein Vater in Nürnberg in seiner Fabrik Leute hatte, die 40 bis 50 Jahre dort beschäftigt waren. Es kommen jährlich höchstens zwei Bleikolikfälle vor, und zwar bei den männlichen Arbeitern in der Schmelzerei, die direct den Bleidunst einathmen.

Pros. Gruber: In welchem Verhältniß nehmen Sie das Blei? Exp. Vetter: Früher wurden die Kapseln aus reinem Zinn gemacht, jetzt nimmt man 9 Percent Zinn und 91 Percent Blei.

Pros. Grub er: Haben Sie da Waschvorrichtungen? Experte Vetter: Wir haben solche für beide Geschlechter.

Pros. Grub er: Die müssen ja doch von dem Blei ganz schwarz sein. Exp. Vetter: Es kommen ja eigentlich nur die Druckerinnen mit der Kapsel direct in Berührung, da sonst die Kapseln nur mit dem Werkzeug angegriffen werden, z. B. von den Lackirerinnen mit dem Pinsel. Auch die Zu- reicherinnen haben die Kapseln direct in der Hand, aber ich muß bemerken, daß die Kapseln ihrer eigentlichen Masse nach zwar aus Blei bestehen, aber mit Zinn plattirt sind. (Ueber Befragen des Vorsitzenden.) Manche Kapseln werden nachher noch bronzirt oder die Prägung mit einer anderen Farbe gefärbt wie die übrigen Kapseln. Dies geschieht von Handarbeiterinnen. Da wird auf einem Stein eine lithographische Farbe angemacht und mit Gummi­walzen aufgetragen. Eine Expertin, und zwar eine Aufmacherin, hat sich, wie ich gelesen habe, dahin geäußert, daß sie sich mit dem Blei in die Finger schneide. Das war früher möglich, wo die zwölf vorgedruckten Kapseln mit der Hand auseinander gelöst, das heißtaufgemacht" wurden. Heute geschieht dies mittelst Maschinen.

Wittelshöfer: Wir haben von Arbeiterinnen gehört, welche den NamenStreckerinnen" führen. Was sind das für Arbeiterinnen? Exp. Vetter: Das ist die neue Art der Fabrikation, welche ich seit zwei Jahren theilweise eingeführt habe. Es werden nämlich jene Arbeiten, welche sonst auf den Druckbänken verrichtet werden, mittelst sogenannter Streck- bänke vollzogen. Wir haben an Stelle der Fayonirung mittelst des Falzbeines, also an Stelle von Handarbeit, kleine Bänkchen construirt, welche diese Arbeit automatisch verrichten. Statt des Vordruckens wird hier mittelst einer Zug­maschine das sogenannte Vorziehen vollführt, und statt des zweiten Processes des Nachdrückens haben wir das Strecken.

Peruerstorfer: Wir haben gehört, daß die Druckerinnen und Streckerinnen den ganzen Tag auf einem Fuß stehen müssen. Ist das richtig? Exp. Vetter: Die Druckerinnen müssen einen Moment lang auf den Fußtritt treten, hierauf stehen sie wieder auf beiden Füßen. Sie brauchen, um zehn Kapseln vorzudrucken, mehrere Minuten, um sie nachzudrucken, mehrere Secunden. Ich habe versucht, den Arbeiterinnen rückwärts eine Lehne zu geben, damit sie bequemer stehen, aber sie wollen es nicht, weil ihnen das hinderlich erscheint.