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mich das Ersuchen gerichtet worden, wie schon früher einige Male, junge Männer aus der Handelsschule zu empfehlen. Mehrere junge Männer waren auch über meine Empfehlung früher zu dieser Gesellschaft gekommen.

Ich hatte aber immer Serupel, ob die Leute, die ich empfahl, auch ent­sprechend befähigt seien. Vor einem halben Jahre kam mir nun die Idee, den Herren zu sagen: Versuchen Sie es einmal mit weiblichen Angestellten. Eine Zeit lang bestand dagegen eine gewisse Abneigung, bis sich die Herren doch entschlossen, einen Versuch zu machen. Heuer ist nun das Eis gebrochen worden. Es wurde ein Fräulein aufgenommen, die durch ihre Leistungen so sehr befriedigte, daß in einer Abtheilung, in welcher früher fünf junge Männer waren, binnen wenigen Monaten vier junge Leute durch Fräuleins ersetzt wurden. Die Gesellschaft hat dabei die Gehalte nicht verringert. Die Leistungen dieser Fräuleins sind ganz unvergleichlich befiere als jene der jungen Männer, und es ist daher nicht zu verwundern, wenn der Status des männlichen Personals dort noch weiter reducirt werden wird. Dabei besteht aber immer die Gefahr, daß bei der bestehenden großen Concurrenz sich die Mädchen gegenseitig im Preise unterbieten, so daß sie unnöthiger- weise schlechter bezahlt werden, als es ihren Leistungen entsprechen würde.

In dieser Beziehung ist wiederholt die Frage einer organisatorischen Zu­sammenfassung ventilirt worden. Allerdings stehen einer solchen Zusammen­fassung verschiedene Momente hinderlich entgegen. Eine Zusammenfassung der Kräfte in den industriellen Betrieben scheint mir viel leichter möglich zu sein, als in dieser Branche. Die verschiedenen Kräfte zersplittern sich hier­auf eine ungeheuere Anzahl von Comptoirs, Bureaux u. f. w. und scheinen mir insbesondere jetzt, wo die Sache sich noch im Anfangsstadium befindet, für eine Organisation noch nicht recht geeignet zu sein. Ich habe wiederholt versucht, einzelne Fräuleins zu veranlassen, sich der Enquete zur Verfügung zu stellen. Vier Fräuleins haben mir, nachdem ich ihnen den Zweck der Enquete aus­einandergesetzt hatte, aus Eigenem die Zusage gegeben, hier zu erscheinen, haben aber diese Zusage wieder zurückgezogen, weil es ihnen ihre Eltern ausgeredet und ihnen gesagt hatten, sie hätten es nicht nöthig, vor die Oessentlichkeit zu treten. Uebrigens darf man sich nicht dem Irrthum hin­geben, daß viele Mädchen, die sich in solchen Stellungen befinden, es nicht nöthig haben, einem Verdienst nachzugehen. Ich glaube, fast alle haben es nöthig, und man darf sich durch den äußeren Schein nicht blenden lassen.

In sehr vielen Familien des sogenannten Mittelstandes herrscht, trotzdem sie sich mit dem Scheine einer gewissen Wohlhabenheit umgeben, that­sächlich Mangel, und es müssen Alle zur Bedeckung der Bedürfnisse der Familie mitwirken. Aus diesen Gründen scheint mir eine organisatorische Zusammenfassung außerordentlich schwer durchführbar zu sein, und es ist Thatsache, daß nur ein sehr kleiner Theil der Mädchen, welche im kauf­männischen Leben thätig sind, dem Vereine angehören, welchem die heute vernommene Expertin angehört. Die Verwendung der Fräuleins erfolgte bis vor Kurzem nahezu ausschließlich in Comptoirs, als Correspondentinuen, in der Buchhaltung u. s. w. Das Honorar in den kaufmännischen Betrieben ist , ein schlechtes. Erst vorgestern ist mir ein solcher Fall zur Kenntniß ge­kommen. Ein Fräulein, das die zweiclassige Handelsschule mit ausgezeichnetem Erfolge absolvirt hat, die Correspoudenz und Buchführung vollkommen be­herrscht, eine vorzügliche Stenographin ist und auch tüchtige Sprachkenntnisse besitzt, ist in einen: Comptoir am Bauernmarkt mit fl. 15 monatlich an­gestellt. Sie erklärte, froh zu sein, daß sie das hat. Sie hat auch keine Aussicht, einen höheren Gehalt zu bekommen. Die Arbeitszeit währt ge­wöhnlich von 8 Uhr Früh bis 8 Uhr Abends mit einer Mittagspause von 1 bis l'.s Stunden. Von einem großen Confectionshause sind mir in Bezug auf die Arbeitszeit und die Honorirung außerordentlich ungünstige Taten bekannt. Es wird dort regelmäßig von V 28 Uhr Früh bis 8 oder