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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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33. Sitzung, Sonntag. 19. Upril, Nachm.

Vorsitzende: Baronin Vogelfang.

Beginn 3 Uhr 15 Minuten.

Expertin Nr. 148: Ich war Handlungsangestellte in einem Wäsche­geschäft, bin aber seit zwei Jahren nicht mehr dort. Wir waren in der gewöhnlichen Zeit ungefähr 12 bis 15 Damen und ebensoviel Herren. In der Saison erhöhte sich die Zahl der Damen aus circa 20, und wurden außerdem zehn bis zwölf männliche Hilfsarbeiter hinzugenommen. Von diesem gesammten Personale waren etwa zehn im Comptoir beschäftigt. Die weiblichen Angestellten gehörten durchwegs dem Mittelstände an und waren Töchter von Beamten, Kaufleuten und Lehrern. Lehrmädchen gab es dort nicht. Es gab keine Arbeitsvermittlung, sondern man ist durch Protektion oder auch durch die Zeitungen hingekommen. Ich war bei derManipulation" be­schäftigt. Mir wurden Aufträge von der Correspondenz übermittelt, und ich habe diese Bestellungen effectuirt, indem ich die Waare an die Zwifchen- meister hinausgab, sie dann wieder übernahm, mit den Zwischenmeistern die Verrechnung und Auszahlung besorgte und die Waare dann zur Expedition ablieferte. Es waren Mädchen da, welche unter meiner Aussicht die von den Zwischenmeistern gelieferte Waare Partieweise zur Expedition zu­sammenstellten. Ich war sechs Jahre in diesem Geschäfte und hatte anfangs fl. 35 monatlich. Dieser Gehalt hat sich im Lause des ersten Jahres aus sl. 40 erhöht, später auf sl. 50 bis 60, und im letzten Jahre hatte ich fl. 70. Diesen Gehalt bezog ich das ganze Jahr hindurch und hatte außer­dem kein Nebeneinkommen. Es wurden aber junge Mädchen aufgenommen, die nur fl. 5, 10 oder 15 Anfangsgehalt bekamen. Dies waren keine Lehrmädchen, sondern sie mußten eine entsprechende Vorbildung haben und aus besseren Kreisen sein. Die einfache Volksschulbildung genügte nicht. Diese Mädchen waren beiläufig im Alter von 16 Jahren. Ich war die höchste im Lohn; dann kam ein Mädchen, welches um fl. 10 weniger hatte und das speciell bei der Wäschemanipulation beschäftigt war, die übrigen Mädchen hatten etwa fl. 30 Gehalt und waren beim Zusammenstellen der Commissionen und beim Verkauf beschäftigt. Sie avancirten allmälig im Gehalt, jedoch nie höher als aus fl. 40. Drei bis vier Mädchen hatten nur fl. 5 bis 10, zwei bis drei nur fl. 15 Gehalt. Sie mußten dafür eine Handels- und Fortbildungsschule durchgemacht haben und Buchhaltung kennen. Abzüge und Strafen für das Zuspätkommen wurden nicht auferlegt. Bei den Verrechnungen und Auszahlungen unterliefen selten Irrthümer; da trug die Firma den Schaden.

Dr. Biezina: Wurde der Lohn vom Chef freiwillig oder auf An­suchen der Angestellten erhöht? Exp. Nr. 148: Bei den Anfängerinnen wurde vorausbestimmt, daß sie nach einem halben Jahr um fl. 5 mehr bekommen ; später mußte man den Chef um eine Aufbesserung ersuchen. Der Lohn von fl. 70, den ich hatte, war eine Ausnahme, die Nächste hatte damals fl. 60, und diesen Gehalt bezieht sie heute noch. Die kaufmännische Vorbildung wurde bei den Meisten zur Bedingung der Aufnahme gemacht. Bei Jenen aber, welche durch Protection in's Geschäft kamen, hat man darüber hinweg­gesehen. Die eigentliche Geschäftszeit war von * 08 Uhr Früh bis 8 Uhr Abends, jedoch mußten wir regelmäßig bis 9 Uhr dort bleiben und in der Weihnachts­zeit oft durch zwei Wochen ganze Nächte durcharbeiten, und zwar auch am Sonntag. In diesem Falle wurde alteruirt, indem die eine Hälfte der Angestellten um 10 Uhr nach Hause gehen konnte, die andere Hälfte bis zum Morgen im Geschäft bleiben und dann Nachmittags wieder kommen mußte.