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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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gewesen. Wenn Packete verschickt wurden, wußte ich mit der Factura hinunter­gehen, die Stücke verlesen. Alle recommandirten Briefe auf die Post zu tragen, war auch meine Ausgabe. Für Ueberstunden habe ich keine Ent­lohnung bekommen. Nach den 14 Tagen Probezeit wurde ich aus Ueber- anstrengung krank und bekam für die 14 Tage nur fl. 7. Außer mir war keine Dame im Comptoir.

Herrdegen: Welchen Bildungsgang haben Sie durchgemacht? Exp. Nr. 149: Ich habe die Bürgerschule absolvirt und nebenbei Sprach­studien in Französisch und Englisch betrieben. Ueberdies spreche ich auch italienisch, böhmisch und deutsch. Auch habe ich Clavier gelernt. Nach der Bürgerschule war ich ein Jahr lang zu Hause und bin Vormittags in die Nähschule gegangen; Nachmittags hatte ich Sprachstunden genommen, hierauf war ich zwei Jahre lang in der Handelsschule Porges.

Herrdegen: Was für ein Gehalt wurde Ihnen in dem Un ^ro8 Geschäft in Aussicht gestellt? Exp. Nr. 149: Der Chef versprach mir nach der Probezeit fl. 25 bis 30.

Exp. W e i z m a n n: Ich habe das Engagement dieses Fräuleins beim Advocaten, von welchem die Rede ist, vermittelt. Er hat sich durch eine Mittelsperson an mich gewendet. Mit Rücksicht daraus, daß das Fräulein zu den besten Stenographinnen gehört, die wir überhaupt haben, Sprach- kenntnisse besitzt, stylistisch außerordentlich gewandt und verwendbar ist, er­klärte ich, daß das Fräulein kein geringeres Honorar als fl. 40 bekommen darf. Daraufhin wurden sowohl von der Mittelsperson als auch von dem Advocaten fl. 40 bis 45 Gehalt zugesagt. Nachträglich theilte sie mir aber mit, daß sie nur fl. 30 bekommt. Ich möchte noch beifügen, daß dieses Fräulein gleich zwei Anderen, die später vernommen werden, auf Grund ihrer Qualifikation vom Ministerium die ausnahmsweise Erlaubniß er­halten hat, die Staatsprüfung für das Lehramt der Stenographie an Mittelschulen abzulegen, eine Prüfung, der sich sonst Mittelschul- prosessoreu und Lehrer von Beruf unterziehen. Das Fräulein hat dieses Examen kürzlich mit ausgezeichnetem Erfolge abgelegt. Endlich ist von einem sehr geehrten Commissionsmitgliede die Frage gestellt worden, ob das Fräulein eine ähnliche Leistung zu verrichten habe wie sie von Kammerstenographen verlangt wird. Die Aufnahme von raschen Reden stellt allerdings größere Anforderungen an den Stenographen. Ich möchte aber bemerken, daß ein Kammerstenograph im Verlaufe einer Stunde nur fünf Minuten zu stenographiren hat. Dieses Stenogramm überträgt er in 25 Minuten und kann sich dann 1? Stunde ausruhen. Er braucht sich also lange nicht so anzustrengen wie Jemand, der längere Zeit, etwa eine Stunde lang, nach Dictat zu stenographiren hat und wären es auch nur 80 bis 90 Worte pro Minute. Eine solche Leistung würde auch einen Kammerstenographen sehr ermüden.

Vorsitzende: Wir gelangen zur nächsten Dame. Expertin Nr. 150: Ich bin auch in einer Advocaturskanzlei beschäftigt, und zwar von 9 bis 12 llhr und von 2 bis 7 Uhr. Ich bin jetzt zehn Monate dort und bin direct von der Handelsschule hingekommen, als einzige Dame in der Kanzlei. Meine Arbeit besteht im Aufnehmen von Stenogrammen, im Uebertragen und im Muudireu. Ich bin durch die Zeitung hingekommen, hatte von Juni bis Neujahr fl. 25 und jetzt fl. 30. Eine weitere Gehaltserhöhung ist mir nicht in Aussicht gestellt, eine Erhöhung der Einnahmen habe ich aber ziemlich oft durch Hausarbeit, welche per Bogen gezahlt wird, gewöhnlich sind es 30 kr. per Bogen. Der Chef macht aber mit mir eine Ausnahme und gibt mir 40 kr. Wenn ich sehr rasch schreibe, brauche ich für einen Bogen 30 bis 40 Minuten. Abzüge und Strafen kommen in der Kanzlei nicht vor.