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Dr. Ofner: Welche Vorkenntnisse haben Sie? Exp. Nr. 150: Bürger- und Handelsschule. Auch kann ich französisch, aber das wurde von mir nicht verlangt.

Vorsitzende: Haben Sie Vor- und Nachmittags Zeit, einen Imbiß zu nehmen? Exp. Nr. 150: Es ist zwar keine bestimmte Pause fixirt, aber ich höre für einige Minuten zu arbeiten auf.

Vorsitzende: Haben Sie eine Kündigungsfrist? Exp. Nr. 150: Ja wohl, 14 Tage.

Dr. Schwiedland: Ist auch bei Ihnen eine solche Ausdehnung der Kanzleistunden üblich, wie wir das früher gehört haben? Expertin Nr. 150: Ich habe noch keine Ueberstunden gemacht. Aber die Herren Stenographen und auch der Schreiber machen manchmal Ueberstunden und werden dafür separat bezahlt. Im Winter haben wir an Sonn- und Feier­tagen nur bis 12 Uhr Kanzleistunden.

Vorsitzende: Wie ist das Arbeitslocal bestellt? Exp. Nr. 150: Ich arbeite in einem sehr schönen Zimmer im ersten Stock mit zwei Fenstern auf die Gasse, das Vocal ist hell, leidlich geheizt und im Sommer sehr kühl und angenehm. Der Abort ist im Vorzimmer.

Dr. Schwiedland: Wie sind Ihre Wohnverhältnisse zu Hause? Exp. Nr. 150: Ich wohne bei meiner Mutter. Mein Vater, der Schneidermeister war, ist gestorben. Ich habe sieben erwachsene Geschwister, ein Bruder ist verheiratet, alle Uebrigen wohnen bei der Mutter. Die Wohnung besteht aus zwei Zimmern, Vorzimmer. Küche und Cabinet und liegt im dritten Stock. Zum Essen gehe ich nach Hause. Wir haben gewöhnlich zu Mittag Suppe, Fleisch und Gemüse und ab und zu Mehl­speise. Meine Mutter hat kein Einkommen, aber wir acht Geschwister drei Brüder und fünf Schwestern verdienen Alle mit Ausnahme der Jüngsten. Die Schwestern haben zu Hause eine Schneiderei, die Brüder sind in Condition. Zu meiner Erholung gehe ich spazieren, mache Ausflüge, besuche das Theater. Ich bin nicht bei der Krankenversicherung, gehöre nur dem Stenographenverein an. Ich gebe meinen ganzen Gehalt der Mutter und bekomme ein Taschengeld.

Dr. Ofner: Wie viele Bogen können Sie im Tag schreiben? Exp. Nr. 150: In den gewöhnlichen Kanzleistunden zehn Bogen.

Dr. Ofner: Wird Ihnen auch zugemuthet, daß Sie das Expensar führen? Exp. Nr. 150: Wenn der Chef nichts zn dictiren hat, muß ich ebenso wie die frühere Expertin manchmal expensariren.

Dr. Ofner: Ist außer Ihnen noch ein Stenograph in der Kanzlei, und was bekommt dieser? Exp. Nr. 150: fl. 40.

Dr. Ofner: Wie lange ist er schon dort? Exp. Nr. 150: Zwei oder drei Monate.

Dr. Ofner: Also kürzer wie Sie. War er vielleicht früher schon in einer Advocaturskanzlei? Exp. Weizmann: Ich habe erfahren, daß der Chef des Fräuleins einen Stenographen aufnehmen wollte und ihm sofort fl. 40 angeboten hat. Die Qualification des Betreffenden steht weit unter der des Fräuleins. Trotzdem verlangt der Mann fl. 40 bis 45. Es kommt also nicht auf die Leistungsfähigkeit an, sondern es ist in dieser Branche einfach üblich, den Damen bedeutend weniger zu zahlen als den Herren.

Dr. Schwiedland: Ich glaube doch nicht, daß der Advocat aus reiner Philanthropie dem Stenographen mehr zahlt. Warum nimmt er denn nicht ein zweites Fräulein auf?

Dr. Ofner: Der Grund dürfte darin liegen, daß ein männlicher Stenograph, wenn es gerade noththnt, zu Gericht geschickt, zur Verrichtung von Tagsatzungen und zu manchen Leistungen verwendet werden kann, wozu ein Fräulein nach unseren gegenwärtigen Gesellschaftsverhältnissen nicht