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Herrdegen: Wie ist das Verhältniß zwischen der Ausbildung in diesen Schulen und jener im Cvnservatorium? Exp. Niedt: Ueber das letztere bin ich nicht genau informirt; dort wird der Unterricht mehr durch Vortrag ertheilt. Man gibt den Schülern Gelegenheit, die Theater zu besuchen, die großen Künstler zu sehen, und hält ihnen dann darüber Vortrüge. Es ist dort nicht wie in den Schulen, wo hauptsächlich nur Rollen einstudirt werden. Die jungen Leute, die zum Theater gehen, wollen aber in erster Linie ein Repertoire haben. Da werden also Rollen einstudirt und der technische Unterricht dabei miteingeflochten. Im Cvnservatorium lernt der Schüler aber durch Vortrüge Mimik, Plastik, Betonung u. s. w.

Herrdegen: Sind die Kräfte, welche aus dem Cvnservatorium hervorgehen, hinsichtlich ihrer Leistungen und des Maßes von Talent, welches sie haben, jenen Kräften überlegen, die aus Privatschulen hervorgehen? Exp. Niedt: Gewiß, denn im Cvnservatorium nimmt man nur Leute, die ein gewisses Talent und eine gewisse Vorbildung haben.

Herrdegen: Wenden sich so Viele diesen Theaterschulen zu, weil diese billiger sind als das Konservatorium, oder liegt die Ursache in den höheren Anforderungen, welche das Cvnservatorium an die Schüler stellt? Exp. Niedt: Den Leuten, welche sich an Privatlehrer wenden, ist es hauptsächlich darum zu thun, möglichst schnell in's Engagement zukommen, während der Unterricht im Konservatorium eine gewisse Lernzeit voraus­setzt. Auch den Privatlehrern ist es natürlich lieber, wenn die Schüler länger bei ihnen lernen, aber sie können sie dazu nicht zwingen. Meist sagen die Lehrer, der Schüler müsse zwei Jahre studiren. Aber wenn der Betreffende wirkliches Talent hat und nicht gerade mit Sprachfehlern behaftet ist, kann er in einem Jahre mit allen technischen Behelfen ausgestattet sein. Wenn er kein Talent hat, so wird er auch in fünf Jahren nicht ausgebildet sein. Nach zwei Jahren wird ihm die Geschichte zu langwierig; er nimmt ein Engagement an, vermehrt das schauspielerische Proletariat und nimmt den besseren Schau­spielern Brot und Lohn.

Herrdegen: Pflegt das Cvnservatorium sich um die Anstellung der aus ihm hervorgehenden Kräfte zu kümmern? Exp. Niedt: Das ist mir nicht bekannt.

Dr. Schiff: In welchem Alter treten die Mädchen in die Schulen ein? Exp. Niedt: Das ist verschieden, meist im Alter von 18 bis 24 Jahren.

Dr. Schiff: Wird in den Privatschulen Vorbildung verlangt, außer Lesen, Schreiben und Rechnen? Exp. Niedt: Nein.

Dr. Schiff: Beschränkt sich dort der Unterricht absolut auf das Schauspielerische, oder bekommt die Lernende dort auch Unterricht in Fächern der allgemeinen Bildung, im Verständniß der Klassiker? Experte Niedt: Ich denke nicht. Die jungen Leute sind ja sehr stolz. Wenn Einer zu mir kommt, um sich auf sein Talent prüfen zu lassen, so weigert er sich, wenn ich ihm sage:Lesen Sie mir das und das vor." Das will er nicht; er will mir lieber was vordeclamiren. Nur die guten Lehrer Pflegen die Schüler auch in das Verständniß der Klassiker einzuführen; aber im Allge­meinen geschieht das nicht.

Dr. Rauchberg: Wird in Fällen, wo das Honorar gestundet wird, vom Schüler eine bestimmte Summe oder ein Theil des Honorars ver­langt? Exp. Niedt: In den Theaterschulen nur eine bestimmte Summe, dem Agenten werden allerdings bestimmte Percente vom Honorar gegeben.

Vorsitzender: Sind die Verhältnisse in größeren Orten außerhalb Wiens ähnliche wie hier? Exp. Niedt: In Wien ist das Schulwesen besonders stark ausgebildet. Es ist hier zu großer Zudrang zu den Theatern.