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da machen, weiß ich nicht, aber zum Einstudiren der Rollen gehört doch ein höheres Verständniß.

Frau Schlesinger: Sind Ihnen keine Fälle bekannt, in denen Mädchen von 14 Jahren in Schauspielschulen unterrichtet wurden?Ex­perte Niedt: Nein. Wie soll ich denn mit einem Mädchen von 14 Jahren die Rolle des Gretchen im letzten Act vonFaust" einstudiren? Das ginge doch über alles Menschliche.

Witte lshöfer: Wird Agenten Provision nur vom Schauspieler bezahlt oder auch vom Director? Exp. Niedt: Ich habe, um dem Un­wesen gewisser Agenturen einen Damm vorzuschieben, in unseremVerein österreichischer Bühnenangehöriger" eine Generalagentur eingerichtet. Ein Director sagte mir nun:Wenn Sie für mich sorgen, so bezahle ich Ihnen ein Percent der Gage extra von mir aus, das ist so Usus bei mir, damit ich besser bedient werde wie die Anderen!" Das sagt selbstverständlich der Agent dem Schauspieler nicht, auch nicht ein Agent dem anderen.

Mittels höfer: Gibt es auch Schauspieler, die ohne Agenten ab- schließen? Exp. Niedt: Ich habe im Leben keine Agenten gebraucht. Früher waren auch die Verhältnisse der Agenturen ganz anders. Da existirte ein bekannter Agent, der die Talente in der That gemacht hat. Man mußte ihm einen sogenannten Revers ausfertigen, durch den man sich ihm mit Leib und Seele verschrieb, daß man ihm und nur ihm, so lange man beim Theater bleibe, Percente zahlen werde. Solche Generalreverse kommen in Deutschland heute noch vor. Der Mann nahm nun die Carriere Desjenigen, den er als ein Talent erkannte, in die Hand, brachte ihn von einer Bühne zur anderen und machte aus diese Weise gute Künstler. Heute verpflichtet man sich durch Reverse nur zur Zahlung für ein Jahr. Oft aber geschieht es, daß der Schauspieler sich für weitere drei oder fünf Jahre verpflichtet, einem Agenten Percente zu bezahlen, auch wenn derselbe kein Engagement vermittelt. Erst neulich kam mir folgender Fall vor: Ein Schauspieler hatte durch einen Agenten ein Engagement erlangt und sich verpflichtet, wenn er auch ohne Hilfe des Agenten dies Engagement verlängere, dennoch die Percente weiter zu zahlen. Es entzweite sich aber der Director mit diesem seinem Leib- und Magenagenten und nahm einen anderen. Nun mußte der Schauspieler, wenn er an dem Theater wieder engagirt sein wollte, dem neuen Agenten fünf Percent und dem früheren Agenten gleichfalls fünf Per­cent zahlen.

Mittels höfer: Bestehen solche Verhältnisse auch bei den Hof­theatern ? Exp. Niedt: Wenn das Engagement durch Agenten abge- schlössen wurde, ebenso. In den wenigsten Fällen und nur bei hervorragenden Künstlern wird sich der Director selbst durch ein Gastspiel oder dergleichen überzeugen, ob der Betreffende brauchbar ist. Die Formalien vermittelt aber unter allen Umständen der Agent.

Wittelshöfer: Bezieht sich das auch aus das Chorpersonale, das Orchester und die Statisten? Exp. Niedt: Auch das Chorpersonale unterliegt der Vermittlung durch Agenten. Die Statisten weniger und die Orchestermitglieder, die ja einen stabileren Beruf haben, wohl niemals.

Dr. Schwiedland: Jedes Jahr wird nun eine Anzahl älterer Schauspieler von 30 bis 40 Jahren abgestoßen. Was geschieht mit ihnen? Exp. Niedt: Sie sinken immer tiefer und tiefer, bis sie schließlich auf der kleinsten Schmiere unterkommen und elend untergehen. Dann beschäftigen sie sich mit Blnmenmachen, Körbe flechten. Manchmal stehen solche Schau­spieler und Schauspielerinnen hungernd vor mir und bitten um eine Kleinig­keit, damit sie ihr bischen Dasein für den Augenblick fristen können. Das ist das sogenannte Komödiantenelend, das leider Gottes belächelt wird, das aber so traurig ist, daß Sie sich keinen Begriff davon machen! Ich könnte stundenlang davon erzählen! Daran sind nur die wirthschaftlichen Zustände

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