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auch in der übrigen Zeit kaun er immer einen Grund für die Entlassung finden, denn der Director hat alle, das Mitglied keine Rechte. Die Contracte sind alle nach einem bestimmten Schimmel abgefaßt und für alle Mitglieder gleich. Ich habe jetzt fl. 45 Gage. Die Gagen der anderen Damen sind ver­schieden: st. 40, 35, 30, 25, 20, 15, 10 und 5.

Vorsitzender: Ich habe hier einen Vertrag in der Hand, nach welchem eine Dame 20 Kronen bekommt. Man zieht es also jetzt vor, nach Kronen zu rechnen, weil das mehr ausschaut. Ist die Zahl der Damen, die sl. 15 und weniger bekommen, die größere oder die kleinere? Expertin Nr. 107: Das weiß ich nicht genau.

Vorsitzender: Wonach richtet sich die Steigerung des Gehalts? Exp. Nr. 167: Das hängt von dem Belieben des Directors ab. Daß innerhalb der Vertragsdaner die Gage erhöht worden wäre, ist mir nicht bekannt. Wir bekommen den Vertrag, bevor wir ihn unterschreiben, zur Prüfung, aber es unterschreibt ihn ohnehin Jede. Zwischen dem Winter- und Sommer-Engagement ist eine sechswöchentliche Pause, während welcher wir nichts bezahlt bekommen.

Vorsitzender (verliest den Vertrag): *) Es ist in diesem Vertrage der Passus gestrichen, in welchem es heißt:Contractlich verpflichtet, für den Abschluß des Engagements diesem und diesem Agenten ..."/» zu zahlen." Exp. Nr. 107: Die Vermittlung besorgt ein Agent und der halbirt dann mit dem Director die fünf Percent.

Exp. Niedt: Dies ist noch nicht der schlechteste Vertrag. Ich kann Ihnen ganz andere vorlegen. Es gab einen noch schauderhafteren Ver­trag bei derselben Bühne, den ich seinerzeit in der Generalversammlung unseres Vereines vorgelesen habe. In Folge dessen wurde der Vertrag moderirt. Der Contract hat aber in Wirklichkeit gar keinen Werth, denn wenn ich damit vor einen Rechtsanwalt trete, so sagt er mir:Wie können Sie so etwas unterschreiben, Sie haben ja dadurch gar keine Rechte und nur Pflichten!"

P ern erst o rf er: Ist es dann nicht schon vorgekommen, daß der Richter einen solchen Vertrag für nngiltig erklärte?' Exp. Niedt: Ich weiß keinen bestimmten Fall, aber diese Verträge sind ja geradezu gegen jedes Gesetz, gegen Sittlichkeit und Moral!

P e r n e r st o r f e r: Wir sind doch eine so außerordentlich theater- liebende Stadt. Warum schreiben denn die Blätter nicht darüber? Sie stehen doch in Verbindung mit der Journalistik? Exp. Niedt: Ich habe in der damaligen Generalversammlung einen noch crasseren Vertrag zur Verlesung gebracht. DasNeue Wiener Journal" hat diesen Vertrag veröffentlicht, das war aber auch Alles. Diese Verhältnisse können nur gesetzlich durch das Parlament geregelt werden. Deshalb drängen wir auch darauf, daß solche Contracte für ungesetzlich erklärt werden.

Witte lshöser: Kommt es häufig vor, daß die Directoren von diesen drakonischen Bestimmungen des Vertrages bezüglich der Entlassung Gebrauch machen? Exp. Nr. 107: Sehr häufig, und zwar nicht nur bei Chordamen, sondern auch bei den Fächern. Eine Dame hat sich neulich geweigert, in einem Stück eine Dutzendnebenrolle zu spielen, weil sie als erste Operettensängerin engagirt worden war. Da wurde ihr ein­fach die Kündigung zugeschickt, weil im Contract steht, daß sie alle möglichen Rollen spielen muß. So ist sie jetzt seit einem Monate ohne Engagement. Eine andere Dame wurde aus Präg telegraphisch berufen:Kommen Sie sofort, Antrittsrolle n. s. w." Sie kommt nach Wien, und da kommt ein Stück, in dem sie 14 Tage hat statiren dürfen. Sie hätte verzichten müssen oder sie mußte sich zufrieden geben und, um die Wohnung und Kost

*) Der Text des Vertrages ist im Anhang wiedergegeben.