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„Wo ist er? — wo ist er?" fragte hingegen das Kind und brach in Thränen aus. Mehrere Personen drängten sich jetzt um sie her mit den Fragen: „Wer denn, armes Kind?" — „Wen erwartest Du?" — „Wer soll Dich abholen?" — „Der Onkel, der Onkel!" rief sie. — Der freundliche Herr, der sich schon unterwegs für sie interessirt hatte, nahm sie jetzt bei der Hand und sagte: „Sieh Dich recht ruhig um, ob Du Niemanden hier erkennst, mein Kind!"
Die Augen voll Thränen blickte sie scheu umher und schüttelte den Kopf. — „Wie heißt denn Dein Onkel?" — „Onkel Harry!" — „Wie steht er aus?" — „Wie mein Papa!" — „Und wo ist Dein Papa?" — ,,Weit, weit weg!" — „Und wie heißest Du?" — „Jenny Andon."
Oben auf dem Korbe standen die Buchstaben I. R.; man vermuthete also, daß sie Nandon heiße, nur das R. noch nicht aussprechen könne. Auf Befragen wie alt sie sei, antwortete sie: „Vier Jahr." — Der Conducteur erzählte nun, ein feines, anständiges Dienstmädchen habe die Kleine in den Wagen gehoben und gesagt, sie würde in Plymouth an der Station abgeholt werden; dann habe sie sie zärtlich geküßt und schnell verlassen. Er war sehr unglücklich, daß nun doch Niemand gekommen; 'er wußte gar nicht, was er mit dem Kinde anfangen sollte.
Herr Willis, so hieß der Reisende, der sich zuerst um sie bekümmert hatte, fragte nun in väterlichem Ton: „Kleine Jenny, willst Du mit mir kommen in mein Haus, zu meinen Kindern, bis wir Deinen Onkel finden können? — bis er kommt, Dich abzuholen?" — Und Jenny, die seine Hand noch gar nicht wieder losgelassen hatte, nickte lächelnd, mit Thränen auf den rothen Wangen.
Da trug er sie in die Passagier-Stube, packte in Gegenwart des Wirths und mehrerer Personen den Korb aus, um zu untersuchen, ob sich nicht ein Aufschluß finde, woher das Kind käme — wohin es gehöre. Aber der Korb enthielt nichts als einfache, aber ordentliche Kleidungs- ' stücke, die Wüsche mit I. R. gezeichnet, ein Paar kleine Kinderbücher, nur mit dem Namen Jenny.
„Wer brachte Dich zu der Mail-Coach, liebes Kind?" wurde nun gefragt. — „Meine Marianne." — „Wer ist denn die? — wo wohnt sie?" — Jenny wiederholte nur: „Meine Marianne!" — „Hast Du keine liebe Mutter mehr?" fragte ihr guter Freund. — „O ja!" antwortete sie, sprang nach dem Fenster hin, wies mit dem Händchen nach dem Himmel und wiederholte: „O ja! — dort oben!" — Manchem der Anwesenden