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Aber alle Anzeigen, alle Nachforschungen blieben umsonst! Niemand meldete sich als Verwandter des Kindes! Herr Willis fuhr nach einigen Tagen zum Bürgermeister; und nachdem er den sonderbaren Vorgang mitgetheilt, erklärte er sich vor ihm und den versammelten Rathsherren bereit, das verlassene Mägdlein in seine Familie aufzunehmen.Wo vier Schäflein gepflegt werden," sagte er lächelnd,da wird Gott auch wohl seinen Segen geben für ein fünftes!"

Willis war als ein vortrefflicher Mann bekannt und geachtet; es ward als ein Glück für den kleinen Fremdling angesehen, einen solchen Pflegevater zu bekommen. Doch wurde es vom Rathe beschlossen, um dem Einen nicht allein die Bürde zufallen zu lasten, ihm aus der Stadt- Kaste jährlich eine bestimmte Summe zur Bestreitung der Erziehungskosten zufließen zu lassen.

Die Kinder des guten Herrn Willis hießen Walther und Freddy, waren sechs und fünf Jahre alt, und Emily und Fanny, etwas über drei Jahre alt; diese waren Zwillinge. Die Mutter dieser Kleinen lebte auch nicht mehr; die Tante des Vaters, also eigentlich Groß-Tante der kleinen Schaar, sorgte mütterlich für sie und führte die Wirthschaft. Un­sere Jenny mußte dieselbe nun auch Tante Lida nennen und Herrn Willis Papa. Bald schien sie nicht mehr daran zu denken, daß sie nicht immer zu ihnen gehört hatte, und den andern Kindern ging es ebenso. Sie war aber auch ein gar liebliches kleines Wesen! Walther war ein kleiner Spaßvogel und neckte seine Schwestern gar gern; dann stellte sich der kleine Freddy stets tapfer auf ihre Seite und rief:Geh, Walty, Du sollst meine Emily und meine Fanny nicht quälen, und meine Jenny auch nicht!" Es belustigte aber die Tante Lida sehr, den Kleinen so keck zu sehen gegen den Bruder; doch Walther meinte es auch nie böse.

Tante Lida war trotz ihres Alters, sie zählte vierundsünfzig Jahre doch ein gar kindliches Wesen, das an all' den unschuldigen Vergnügungen der Kindheit und Jugend seinen Spaß hatte und sich gern nach Kräften dabei betheiligte. Sie führte die Kleinen spazieren, erzählte ihnen hübsche Geschichten, dachte sich neue Spiele für sie aus; auch hatten die Knaben ihre ersten Lesestunden bei ihr. Sie ließ ihnen auch viel Freiheit; nur durften sie niemals ungehorsam oder trotzig sein; sonst erhielten sie gleich eine angemessene Strafe; sobald aber Tante Lida Reue bei ihnen gewahrte, war alles wieder gut.

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