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herangetreten und Schwester Johanna brauchte nun auf dem kleinen Grund­stein im Herzen nur weiter zu bauen, daß ein Tempel Gottes daraus werden konnte. Und Schwester Johanna's Streben war es, in dem kleinen Kinderherzen den Tempelbau zu beginnen und möglichst weit hinauszu­führen, wenigstens den Grundbau so fest zu stellen, daß nichts in der Welt im Stande sein solle ihn zu erschüttern. Freilich das wußte sie: das Leben kommt mit Stürmen, auch mit harten Stößen, die man Zweifel nennt, um solchen Tempelbau zu vernichten; aber sie sagte immer:Mag der ganze Tempel einstürzen, wenn der Grund fest ist, baut er sich von selbst wieder auf."

Zur Schwester Johanna kam einst eine fremde Dame zum Besuch. Sie war auch eine Kleinkinderlehrerin aus fernem Orte und machte eine Reise, in dem Marktflecken verweilte sie einige Stunden und als sie vom Gasthause aus den Spielplatz mit der Kinderschaar gesehen, war sie hin­über gegangen. Die beiden Lehrerinnen kamen bald in ein Gespräch, jede erzählte von ihrer Schule und von ihrer Art des Verkehres mit den Kleinen. Die fremde Dame sagte:Kinder interessiren mich sehr, beson­ders in den ersten Lebensjahren, wenn ihre Geisteskräfte noch unentwickelt sind. Es ist meine Aufgabe ihren Verstand zu entfallen, Schritt vor Schritt sie zum Denken anzuleiten, der Verstand ist eine wundervolle Gabe der Natur, den eine gute Kleinkinderlehrerin wohl vorbilden soll, damit die Wissenschaften später leichten Eingang finden."

Schwester Johanna entgegnete:Gewiß ist der Verstand eine wunder­volle Gottesgabe und schon in frühen Jahren sollen Kinder nachdenken und urtheilen lernen; aber ich gehe hauptsächlich darauf aus der Kinder Herz zu bilden, ihnen Bewußtsein von der Allgegenwart Gottes zu geben, sowie von der Liebe des Heilands und von der Nächstenliebe, mit einem Wort, ich suche Keime zur Gottesfurcht vor allen Dingen in die Kinder zu legen."

Mein liebes Fräulein," sagte die fremde Dame,wir gehen in unserer Lehrweise wohl verschieden zu Werke, weil wir verschiedene Grund­sätze haben. Ich meine, man müsse den Kindern nicht zu früh von Re­ligion sprechen, was versteht ein so junges Wesen von Allgegenwart eines Gottes, den es nicht sieht, von der Liebe eines Heilandes, den es auch nicht sieht. Ich fange das anders an: Ich zeige den Kindern ein Pflänzchen, eine Blume, ich lehre sie die Natur bewundern und erst wenn sie fragen: Wer hat denn die Blume gemacht? dann erst rede ich vom Schöpfer."