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Die jungen Sänger neben mir haben Alle den Krieg mitgemacht, ich sah sie aus ihrer Thür treten, als ich vorhin ankam und in meine Stube geführt wurde, sie trugen Alle die Erinnerungsmedaille und Einige hatten das eiserne Kreuz.

Ich bin in einer Droschke in der Stadt umhergefahren, mich dem Kutscher überlassend, er wußte was ich sehen wollte, es war was jeder Fremde jetzt hier sehen will: die Trümmer, welche der Krieg noch zurück­gelassen hat. Ein trauriger Anblick, furchtbare Erinnerungen erweckend. Viel ist zerstört worden, bevor die Festung sich ergab, auch die berühmte Bibliothek mit den Schätzen der Wissenschaft; aber erhalten wurde der Dom, dies Denkmal der Baukunst, dieses Gedicht aus Stein.

Ich habe lange vor dem Münster gestanden bevor ich mich entschloß in das Innere zu gehen, so war ich gefesselt. Ich kannte die Kirche aus früherer Zeit. Du erwartest keine Beschreibung, ein Gedicht muß man lesen, ein Gebäude muß man sehen, denn die Empfindung der Poesie, welche ein poetisches Werk einstößt, läßt sich nicht durch Beschreibung des Werkes hervorrufen.

Erwin von Steinbach hieß der Dichter des Straßburger Münsters, d. h. also hier sein Erbauer, wenigstens der Erbauer der prachtvollen Fayade. Gegründet wurde die Kirche schon viel früher, vom ersten christ­lichen Fürsten der Franken, Chlodwig, im 6. Jahrhundert, die Fa^ade wurde im 11. Jahrhundert erbaut.

Ich habe seit Jahren den Wunsch das Steinthal zu sehen und darin die Gemeinde des Pfarrer Oberlin, die Kinder der Zöglinge der Luise Scheppler. Das Steinthal liegt im Elsaß, von Straßburg aus fährt man dorthin. Eine Familie, die ich früher oft sah, die wohlbekannt ist in Rothau, dem großen Fabrikorte im Steinthal, hat mir den Weg dahin damals gebahnt, der Fabrikbesitzer Dietherlen, der ein Vater seiner Ar­beiter ist und so treffliche Volksschriften drucken ließ, erwartete mich da­mals schon. Und jetzt? Jetzt, da ich in Straßburg bin, gehe ich am Steinthal vorüber, ich werde Dietherlen nicht kennen lernen, werde nicht die Stätte sehen wo Oberlin und seine treue Magd wirkten, werde nicht das Grab der beiden Verstorbenen sehen, deren Leben ein fortdauernder Dienst der Nächstenliebe, ein fortdauernder Gottesdienst war.

Kennst Du das Steinthal und seinen Vater Oberlin und Luise? Vielleicht weißt Du nur wenig von Ort und Menschen zu sagen, so lasse Dir Einiges mittheilen. Luise Scheppler war es, welche die Schwester