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zum ersten Mal die Schule in Waldbach besuchte, trat er in eine elende > Hütte, in der eine Anzahl Kinder sich auf eigene Hand die Zeit vertrieben und einen heillosen Lärm machten. Der Lehrer lag im Hintergrund der Schulstube im Bett, ein kranker Greis.Seid Ihr der Schullehrer?" fragte der Pfarrer.Der bin ich," erwiderte der Kranke.Was lehrt Ihr denn Eure Schüler?"Nichts, Herr Pfarrer."Warum denn nicht?"Ei, lieber Herr Pfarrer, weil ich selber nichts weiß." Warum hat man Euch denn zum Lehrer gemacht?"Ach sehen Sie, lieber Herr Pfarrer, ich war eigentlich Schweinehirt der Gemeinde, viele Jahre lang, jetzt bin ich aber zu diesem Dienst zu alt, nun soll ich die Kinder hüten."

In ähnlichem Zustande fand der Pfarrer alle Schulen der Dörfer, die zu seinem Wirkungskreise gehörten. Als nach einer Reihe von Jahren Oberlin diese Pfarrstelle übernahm, fand er es nicht mehr so übel, doch noch sehr schlecht bestellt. Die größte Mühe machte es ihm junge Leute zu finden, die sich zu Schullehrern bilden lassen wollten, weil dieser Beruf . in der Achtung der Bewohner des Steinthales als verächtlich galt. Als sich endlich Lehrer gefunden hatten, hielt es eben so schwer die Eltern zu bewegen ihre Kinder in die Schule zu schicken. Eben so wichtig als der Schulunterricht war es, den jungen Mädchen Anleitung zu weiblichen Handarbeiten zu geben, sie hatten keinen Begriff davon. Nähen, Stricken, Ausbesserung getragener Kleidungsstücke war für die Frauen im Stein­thal unbekannte Kunst; Mutter Oberlin suchte nach Kräften dem Uebel abzuhelfen; aber eben die Kräfte reichten nicht aus. Da fand sich eine Hilfe. Es hatte sich ein kleines Bauermädchen, Luise Scheppler, herzlich an Mutter Oberlin angeschlossen und begleitete sie oft auf ihren Wegen zu Armen und Kranken. Der Pfarrer beobachtete das Kind und sah mit großer Freude, welch ein liebes Gemüth in demselben herrschte. In Waldbach war ein Feuer ausgebrochen und hatte viele Häuser zerstört. Bevor die Beschädigten wieder eine Häuslichkeit hatten, bemerkte die da­mals acht Jahre alte Luise eine herrenlose Henne, welche bald hier bald da, oft auch in einer Scheune sich verbarg. Luise ging dem unstätt lebenden Thiere nach und fand viele Eier, welche dasselbe in verborgene Winkel gelegt hatte. Niemand nahm sich der armen Henne nach dem Brandunglücke an, denn die Leute hatten andere Dinge zu bedenken. Luise sammelte die Eier, bauete ein Nest und legte die Eier hinein. Die Henne kam und ließ sich heimathlich auf dem Neste nieder und bedeckte ihre