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er hatte medizinische Kenntnisse und behandelte Kranke, denn weder Arzt noch Apotheker waren damals im Steinthal; er ließ Krankenwärterinnen auf seine Kosten ausbilden und endlich einen jungen Mann seiner Gemeinde Medizin studiren. Er gründete eine Volksbibliothek und Sparkasse. So wirkte dieser unermüdlich thätige Mann 59 Jahre hindurch und mit Recht gab man ihm den Beinamen Apostel des Steinthales. Luise Scheppler war seine treue Gehilfin 48 Jahre lang, sie arbeitete als seine Magd im Hause und arbeitete unter seiner Leitung in der Gemeinde, Lehrerin der Kinder, der Armen und Kranken Trost, Tag und Nacht zur Hilfe bereit. Und für alle ihre Arbeit nahm Luise keinen Lohn an. Vater Oberlin hatte wenig Mittel und die treue Magd sah, daß er selbst darbte, um seine Gemeinde zu unterstützen, er konnte sie nicht bewegen Bezahlung für ihre Dienste anzunehmen, sie bat es sich ausdrücklich als eine Gnade aus, in seinem Sinne, ohne irdischen Lohn, thätig sein zu dürfen. Wie tief Vater Oberlin diese seltene Hingabe empfand und wie hoch er Luise Scheppler schätzte, das beweist ein rührender Brief von ihm, den er an seine Kinder schrieb, als er sein Ende herannahen fühlte; ich muß Dir wenigstens ein Bruchstück desselben mittheilen, es wird Dich freuen.

Meine lieben Kinder! Indem ich Euch verlasse, vermache ich Euch meine treue Dienerin, welche Euch erzogen hat, die unermüdliche Luise.

Die Verdienste, die sie sich um unsere Familie erworben hat, sind unendlich groß. Eure gute Mutter nahm sie schon vor ihrem fünfzehnten Jahre zu sich; sie machte sich ihr nützlich durch ihre Talente, ihren Eifer und Fleiß. Nach dem frühzeitigen Tode Eurer zärtlichen Mutter war Luise für Euch zugleich treue Wärterin, sorgsame Mutter, Lehrerin, kurz Alles. Ihr Eifer ging noch weiter: Als wahre Jüngerin des Herrn ging sie in alle Dörfer der Umgegend, wohin ich sie schickte, die Kinder um sich zu ver­sammeln, sie schöne Lieder singen zu lehren, ihnen die Werke des allmäch- . tigen Gottes in der Natur zu zeigen, mit ihnen zu beten und ihnen alle die Kenntnisse, die sie selbst von Eurer Mutter empfangen, mitzutheilen. Aber das war nicht das Werk eines Augenblicks und die unzähligen Schwierigkeiten, die sich diesen Beschäftigungen entgegen stellten, hätten tausend Andere entmuthigt. Sie opferte meinem Dienste und dem Dienste Gottes nicht nur ihre Zeit und Gaben, sondern ihre ganze Person, ihre Gesundheit, ihr Körper ist jetzt völlig zerstört durch übermäßige Anstreng­ung. Seit dem Tode Eurer Mutter habe ich Luise nie vermocht, den geringsten Lohn anzunehmen, sie verwendete sogar die wenigen Zinsen