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durch seine inhaltreichen Gespräche und sein unübertreffliches Vorlesen unvergessene Erinnerungen gegeben.

Durch meinen verewigten Gatten, den Professor Karl Förster, welcher ein naher Freund Tieck's war, wurde auch ich in jenem theuern Hause heimisch und alle diese Genüsse wurden auch mir in reichem Maße zu Theil.

Besonders sei der dramatischen Vorlesungen gedacht, welche Tieck mit unübertroffener Meisterschaft säst jeden Abend vor einem Kreise aufmerk­samer Zuhörer, die sich um sechs Uhr in seinem geräumigen Salon ver­sammelten, hielt. Mit seinem schönen, klangreichen Organ las er drei Stunden lang, ohne Unterbrechung, mit voller Kraft der Stimme die größten klassischen Werke der deutschen, sowie der ausländischen Literatur, vorzugsweise Shakespeare'sche Dramen und brachte dabei jeden einzelnen Charakter so zur Anschauung, daß man leicht hätte glauben können das Vorgetragene sei das eigene Werk des Dichters.

Der Kinderwelt war er sehr zugethan und für die Kleinen welche er bei sich sah, war es immer ein Freudentag (Tieck spielt so schön mit uns!" sagten sie frohlockend), wenn sie dahin eingeladen wurden; wirklich mischte derselbe sich stets liebreich in ihre harmlosen Spiele.

Der 31. Mai der Geburtstag Tieck's war für Viele ein ge­feierter Festtag, schon am frühen Morgen fehlten die Zeichen der Theil­nahme nicht. Die Kinder von werthen Freunden erschienen mit Blumen und Kränzen und stockten verlegen bei den Reimworten, welche sie sagen wollten. Am Abend versammelte sich dann ein großer Kreis im gastlichen Hause, auch die Kinder der erwähnten Freunde wurden eingeladen und fanden ihren Platz aus einem Tritt, welcher im mittleren großen Fenster stand. Wie glücklich und ergötzt war die kleine Schaar, als ihr freund­licher Beschützer ihnen einmal denkleinen Däumling" vorlas.

An dem nächsten Maifesttage wählte seine Güte das Märchen vom Rothkäppchen" und bei der Scene, wo der Wolf das Leben der Groß­mutter und Rothkäppchens bedroht, hatte er unerwartet sein schönes Haupt verhüllt und rief mit mächtiger Stimme:ich bin der Wolf." Ein kleines, keckes Mädchen aber sagte eilig:die Großmutter sollst Du doch nicht aufessen!" und warf mit ihren Genossinnen alle Blumen und Kränze von dem geschmückten Festtische auf den friedlichen Wolf, der nun von Blumenpracht umbaut, nicht frei aufathmen konnte.

Mögen den jungen Leserinnen des Töchter-Albums die hier flüchtig gegebenen Mittheilungen über das Leben des Verewigten willkommen sein,