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Küche. Welche Sauberkeit allerorten, trotz Krankheit und Noth! Die Küche war jetzt zugleich die Wohnstube der Leute; wie konnte man auch doppelte Feuerung erschwingen! Es war ein Heller Raum und Sonne und Herdfeuer verbreiteten eine behagliche Wärme. Vor dem Fenster stand ein einfacher tannener Tisch, daran saßen vier blasse, dürftig ge­kleidete Kinder; die beiden älteren Mädchen mit Stopfen beschäftigt, die Kleinen spielend mit ein paar selbst gefertigten Puppen. Am Herdfeuer aber saß die arme blinde Großmutter und strickte sie wollte doch auch etwas verdienen. Als Gertrud und Franz eintraten, sahen die vier Kinderchen mit neugierigen Blicken auf. Gertrud fragte nach Frau Müller und das älteste Mädchen sagte schüchtern, die Mutter sei ausgegangen, zu Frau Justizrath Brühl, um Suppe zu holen für den Vater.So, so," sagte Gertrud,und dies ist wohl das Großmütterchen? Guten Tag, liebe Frau, so fleißig bei der Arbeit? Ich bringe Ihnen hier einige Kleinig­keiten an Eßwaaren, auch etwas Wärmeres anzuziehen für die lieben Kleinen."Das lohne Ihnen Gott," sagte die alte Frau erfreut und streckte ihre welke Hand hin, die Gertrud ergriff und sanft drückte. Eines von den Kindern war hinter die Großmutter getreten und flüsterte:Es ist Fräulein Walter von nebenan!" Die Alte stand auf und suchte nach einem Stuhl, bat Gertrud Platz zu nehmen und fing dann ein längeres Gespräch mit ihr an. Der kranke Schwiegersohn lag zu Bett in der Kammer und die Alte meinte flüsternd, der Herr würde ihn wohl bald zu sich nehmen. Sie zerdrückte dabei eine Thräne und sagte leise:Das wird der härteste Schlag für meine arme Tochter, es ist solch ein braver guter Mann!" Auch von dem kleinen Wesen im Stift sprach sie:Ach wir hatten sehr viel Last mit dem kleinen Ding und doch fehlt es uns überall!" Fränzchen war indessen zu den Kindern gegangen und kramte die Spielsachen aus. Anfangs waren die Kleinen so verlegen, wagten kein Wort zu sagen und gar nicht zuzugreifen. Mit erröthenden Gesichtern und glänzenden Augen sahen sie auf die schönen Soldaten, die Häuser und Thiere, und erst als Fränzchen anfing ihnen vorzuspielen, wurden sie lebhafter und es dauerte nicht lange, da waren sie mit Franz die besten Freunde. Ein halbes Stündchen wohl blieben Gertrud und Franz, dann verabschiedeten sie sich, begleitet von den Segenswünschen der Familie. Gertrud blieb den ganzen Tag still- und nachsinnend. Wie fromm, wie gottergeben war die alte blinde Frau! Wie viel irdische Reichthümer hatte Gertrud vor dieser voraus! Sie schalt sich undankbar