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gehabt, um sie zu hegen und zu pflegen. Jetzt dachte sie öfter an die arme Frau Müller. Ihr Herz wandle sich in der Noth dem lieben Gott mehr zu. Auch Leonie fand auf ihrem Schmerzenslager Trost und Hilfe im Gebet. Als sie ganz wieder hergestellt war, ging sie mit der Mutter einmal zu Müllers. Aber das waren die armen Müllers von damals nicht mehr! Der Mann war ja gesund und kräftig und arbeitete, und Frau Müller war auch nicht müßig, sie wusch und plättete feine Wäsche und bekam schönes Geld dafür. Die alte blinde Großmutter hatte man vor einem halben Jahre zur letzten Ruhe gebracht. Sie war eingeschlafen mit den Worten:Nun werde ich meinen Heiland sehen!" Die drei Töchter dienten, August war seit Ostern bei einem Tischler in der Lehre. Nur Willy war noch bei den Eltern. War das wirklich Willy, der wenngleich verwachsen, doch so frisch und fröhlich blickende Knabe? Die Justizräthin wollte es kaum glauben.

Auch in Walters Hause waren große Veränderungen vorgegangen. Gertrud war eine fröhliche, blühende Frau geworden, sie hatte einen jungen Arzt geheirathet und wohnte jetzt in der Stadt. Das hinderte sie aber nicht, fast täglich hinaus zu fahren nach des Vaters Villa und dann auch ihren Liebling aufzusuchen, den kleinen Willy. Dieser hing mit rührender Verehrung an Gertrud. Oft, wenn er nicht zugegen war, unter­hielten sich Frau Müller und Gertrud über dessen Zukunft, und seine Mutter meinte dann betrübt:Wüßte ich nur, was das Kind werden könnte! Zu einem Handwerk ist er zu schwach, aber was hat solch ein unglückliches Kind für eine Wahl? Ein Schreiber? Es wäre mir gar zu traurig den Armen, der solche Liebe zur Natur hat, den ganzen Tag in der Schreib­stube zu wissen!" Da hatte Gertrud denn eines Tages einen guten Ein­fall.Wissen Sie was, Frau Müller, lassen Sie Willy einen Gärtner werden, er hat die Blumen so lieb und versteht auch schon viel davon, denn er hilft immer unserm alten Andreas!" Und Willy wurde befragt, ob er Lust.habe und war ganz glücklich, daß sein Herzenswunsch in Er­füllung ging. Als seine Schulzeit beendet und er eingesegnet war, wurde er zu einem tüchtigen Handelsgärtner geschickt.

Anna Walter hatte sich auch verheirathet, an einen Kaufmann in der Stadt, Franz war auf der Universität und nur Elschen bei dem Vater. Sie war Braut eines jungen Geistlichen, der erst eine Pfarre haben mußte, ehe er sie als sein liebes Weib heimführte. Herr Walter nahm

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