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täglich vor den kleinen Blumen stehen, die ihren Ursprung droben gehabt in der freien reinen Luft."

Er brach ab.

Die Du nun zerstört hast, Du naseweises Mädchen," fuhr er in strengem Ton fort.

Schon längst flössen meine Thränen, jetzt warf ich mich schluchzend an seine Brust.

Vergieb, o vergieb mir!" stammelte ich.

Er vergab so bald, der gute freundliche Onkel, ich aber überwand es nicht, daß ich ihm seine Blumen, durch sie die liebe Erinnerung zerstört hatte. Jene Begebenheit machte einen so tiefen Eindruck auf mich, daß sie stets wieder lebendig vor meiner Seele stand, wenn ich einmal eigen­willig sein wollte, daß sie mich zurückhielt von manchem schnellen, wenig überlegten Handeln.

Viele Jahre sind seit jenem Tage vergangen. Onkel Heinrich ist lange todt.

Da reiste ich auch in die Schweiz, auch mir wurde in der wunder- herrlichen Natur das Herz groß und weit; ich mußte immer wieder die Hände falten und Gott danken, der so viel Schönheit erschuf und mich würdigte sie zu sehen.

Meine Begleiter waren einen andern Weg gegangen; ich wanderte allein zwischen den Bergriesen. Die Sonne flimmerte droben und setzte ihren Schneestirnen Diamantenkronen auf, sie legte über die grünsammtnen Matten ein golden Netz, die Gebirgsquellen flössen als Silbergürtel dazwischen, es war eine unbeschreibliche Pracht.

Da blüht es plötzlich um mich her, an den Felsen hier und dort gucken zarte Köpfchen hervor, weiß und lila!

O diese lieblichen, noch nie gesehenen Blümchen, ich bücke mich zu ihnen nieder, ich pflücke mir einen Strauß davon und werde nicht müde, muß immer mehr pflücken.

Wie sie nur hier in den Felsen, in der fteinharten Erde wachsen können, denke ich bewundernd, nehme meinen Alpenstock und versuche mit seiner scharfen Spitze eine Wurzel Herauszugraben.

Es ist sehr mühsam, endlich geht es, die Steine"geben nach, aber was halte ich in der Hand? Das sind ja Onkel Heinrichs Alpen­veilchen, rufe ich schmerzlich erfreut und betrachte die einst so verachteten Knollen mit liebenden Blicken! Wieder steht sie vor mir, die Euch