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konnte nicht widerstehen und kam zu der Quelle, daraus zu trinken. Das war ein Glück für den kleinen Samen, der gerade auf seinem Schiffchen daher gefahren kam; an die lange zottige Wolle des Schafes konnte er und die Halme sich leicht anhängen und nun trug ihn das Schaf mit sich fort. Das ging nun freilich nicht so lustig weiter, wie mit dem Winde und Wasser, aber dafür war die Gelegenheit doch sehr sicher. Als die Heerde eine Strecke gegangen war, bog der Schäfer in einen engen Seiten­weg, der zwischen zwei Hecken hinlief; da streckten die Büsche ihre langen Arme mit spitzigen Dornen aus, und die Schafe mochten sich noch so sehr drücken, jedes von ihnen mußte einige Wolle lassen, und o weh! das Wollflöckchen, an dem das Samenkorn hing, hatte ein häßlicher Dorn­busch dem armen Schaf auch ausgerupft.Ach," dachte das Körnchen, soll hier nun schon das Ende meiner Wanderschaft sein?" Aber nein, ein hübsches buntes Vögelchen kam daher geflogen, das sah die Wolle an den Büschen hängen, und da es gewiß im Nest eine große Familie hatte, die ein weiches warmes Lager brauchte, nahm es so viel Wollflöckchen, als sein Schnabel fassen wollte und flog davon. Glücklicherweise hatte es das Samenkorn auch unbemerkt mitgefaßt; das Körnchen ängstigte sich zwar wieder sehr, denn, wenn die Vogelaugen es entdeckt hätten, würde es gewiß in ein hungriges Schnäbelchen gewandert sein; aber die Art zu reisen gefiel ihm sehr. Pfeilschnell ging es auf den leichten Flügeln durch die blaue Luft, bis sie an einen schönen Garten kamen; da ließ sich das Vögelchen nieder und schlüpfte eilig unter das Dach einer Weinlaube, wo sein Nest versteckt war. Eine Ranke aber streifte die Wolle, die es mit­brachte und befreite das Samenkorn. Jäh fiel es aus der Höhe herab auf den grünen Gartentisch, der in der Laube stand, mitten hinein in eine Gesellschaft vornehmer Samen, die da in halbgeschlossenen Düten und leinenen Beutelchen umherlagen. Verwundert und geringschätzig sahen alle aus ihren Umhüllungen den ungebetenen Gast an, bis endlich der Kressesamen, der gar ein fröhlicher Geselle ist, das Körnchen fragte, ob es vom Himmel gefallen sei, oder woher es eigentlich komme. Da erzählte das Samenkorn, daß es im Begriff sei eine Reise zu machen und wie viel Angst und Noth es schon ausgestanden habe.Nun, dann kannst du mit uns weiter reisen," sagte der Kressesamen,wir alle werden, wohl verpackt, in nächster Zeit nach Amerika wandern, ich werde einige Körner aus meinem Säckchen verstreuen, dann werden dich die Menschenhände wohl mit Hineinstreichen, wenn sie dieselben sammeln." Das Samenkorn

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