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Die Erstere trug einen hellfarbigen, modischen, fast ein wenig auffallenden Sommeranzug, auf ihrem blonden, lockigen, hochfrisirten Köpfchen schwebte ein kleines Hütchen, ein hübsches Kunstwerk aus Stroh, Bändern und Blumen bis tief auf das rosige, frische, junge Gesicht herab. Dieses Gesicht zeigte in Linien und Ausdruck auch nicht die mindeste Spur eines Leides oder Kummers; eine Blume, die noch kein rauher Lufthauch ge­troffen. Und doch in diesem glücklichen Blumengesicht lag ein Zug, der nicht angenehm berührte, ein Zug von Selbstbewußtsein, Uebermuth, und dieser Zug trat jetzt eben sichtbarer hervor, wie die Blicke musternd in die andere Ecke des Coupö's hinüberflogen.

Jenes junge Mädchen trug nur ein schwarzes Kleid von einfachem Schnitt und Stoff, einen schwarzen Strohhut ohne Schmuck; eine Reise­tasche von Wachstuch lag neben ihr und in ihren Händen hielt sie ein Schirmchen, welches weder neu noch elegant war.

Ihr Haar war gleichfalls blond und floß in natürlichen Locken in ihren Nacken, ihre Augen waren blau, aber von Schatten umgeben, als ob sie vor nicht gar langer Zeit viel und bitter geweint hätten, selbst ihr Gesicht hatte in feinen Zügen etwas Ähnlichkeit mit dem ihres Gegen­übers, aber es war bleich und schmal.

Wer mag sie sein?" dachte die Andere;als ich in den Waggon stieg, saß sie schon darin, eben so stumm und ernst wie sie schon den ganzen Weg daher dasitzt. Alle Eckplätze waren schon besetzt, ich mußte ihretwegen mit einem Rücksitz sürlieb nehmen, von welchem aus ich den Thurm von Schönlinde nicht anders erblicken kann, als wenn ich mich aus dem Fenster biege. Sie trägt ein ganz gewöhnliches Kleid und sieht im Ganzen genommen sehr ärmlich aus, so daß ich mich wundere, weshalb sie nicht lieber dritter Klaffe fährt. Wer sie nur sein mag, wohin sie reist und weshalb so allein? Doch ich fahre ja auch allein, weil Papa mich nicht abholen konnte."

Die Langeweile und Neugierde bewogen das junge Mädchen endlich, daß sie ihre stille Nachbarin anredete; einmal der Bann des Schweigens gebrochen, floß ihre Rede lustig wie ein entfesselter Wald ström dahin. Sie erzählte von ihrer Heimath, dem schönen Ritterguts ihrer Eltern mit dem schloßartigen Herrenhause, dessen Thurm bis weit in die Ferne hinausrage, von dem Reichthums und der Güte ihrer Eltern, von dem Leben in der Hauptstadt, wo sie ein Jahr lang eine Pension besucht habe, von der sie heute nun wieder in ihr Vaterhaus zurückkehre. O wie freute