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sie sich auf das fröhliche Leben daheim; die Mutter sei wohl kränklich, aber mit ihrem Papa und ihrem Bruder würde sie ausführen und reiten, ja auch reiten, denn sie hatte ein hübsches Pony und ein grünes Reit- kleid. Der Papa würde nächstens einen Ball geben, einen glänzenden Ball, um ihre Wiederkehr zu feiern.

So plauderte sie fort und das blasse Mädchen hörte ihr zu und gab nur wenig Auskunft auf die neugierigen Fragen, welche an sie gerichtet wurden, und was sie sprach klang fremd und hatte einen eigenthümlichen Accent.

Ihre Eltern waren beide todt, die Mutter schon lange gestorben und den Vater hatte sie erst unlängst verloren; er war arm gewesen und hatte weit von hier in einem fernen Lande gelebt. Nun kam sie in Begleitung ihres Vormundes, um Verwandte in Deutschland aufzusuchen, wie der Vater ihr befohlen habe. Verwandte, die sie noch gar nicht kenne, von denen sie früher nie gehört hatte.

Daß sie arm sei," dachte ich gleich.Sie geht, um das Gnaden- brod bei Verwandten zu essen, die sie vielleicht unfreundlich aufnehmen werden. Wie schrecklich!" dachte die Blondine im hellen Kleide, welche den hübschen Namen Viola führte.

Gleich darauf hielt der Zug an einer Station, ein Herr mit grauem Haar und einer Brille trat an die Thüre des Wagens, welche geöffnet worden war und frug, zu dem jungen Mädchen im schwarzen Anzüge gewen­det, auf Englisch, ob Miß Jenny etwas bedürfe. Die Angeredete ver­neinte, sie habe keine Bedürfnisse, nur sehr müde fühle sie sich.

Bald werden wir ausruhen!" sagte der Herr, entfernte sich und begab sich in das Rauchcoupü zurück, in welchem er die Reise zurücklegte.

Vorüber sauste der Zug an grünenden Wiesen und Feldern, an Dörfern in duftigen Kränzen blühender Obstbäume, weiter, weiter seinem Ziele zu.

Viola dachte über das seltsame Mädchen nach, welches in seinem einfachen Trauerweide so still und blaß ihr gegenüber saß. Welch ein Unterschied zwischen Jener und ihr! Eine Welt voll Glück, ganz in Sonnenschein getaucht wie die Landschaft dort draußen, lag die Zukunft vor ihr. Ihre Vergangenheit zeigte keinen Schatten, keine trübe Er­innerung, nur Licht, lauter Licht. Alle ihre Wünsche waren ihr erfüllt worden, fast ehe sie dieselben noch ausgesprochen hatte, kein Herz, welches ihr theuer war, hatte sie je durch den Tod verloren.