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Die zwei Reisegefährtinnen sprachen nicht mehr mit einander, schwei­gend fuhren sie ihrem gemeinsamen Ziele, ihrem Schicksale entgegen.

Da erscholl der Signalpfiff an der Haltestelle L. Die Thür ward geöffnet, Viola nickte Jenny einen kühlen Gruß zu; die beiden Mädchen waren sich auf dieser mehrstündigen Fahrt nicht im Geringsten näher gekommen.

Zu was auch?" dachte Viola;man fährt ein Stückchen zusammen, spricht ein paar Worte, geht auseinander und sieht sich im Leben nicht wieder."

Leichtfüßig sprang sie auf den Perron herab, wo schon ein Diener in ihres Vaters Livr« auf sie wartete; dort stand auch die wohlbekannte Equipage, der Kutscher am geöffneten Schlage, den Hut in der Hand.

Als das junge Mädchen, in den offenen Wagen gelehnt, auf der Landstraße dahinfuhr, sah sie ihre Reisegefährtin am Wegsaum denselben Weg gehen. Der alte Mann mit der Brille schritt neben ihr und trug ihr wachstuchenes Reisetäschchen. Sie sprachen mit einander und blickten Beide nur einen Moment in die Höhe, als der Wagen an ihnen vorüber- fuhr und sie mit einer grauen Staubwolke umwirbelte.

Noch einmal trafen sich die Blicke der beiden Mädchen. Das eine eilte in den Schoß ihrer Familie zurück, wo Liebe und Glück ihrer harrten; die Waise schritt fremd in einem fremden Lande unbekannten Verhältnissen entgegen.

Die Fußgänger nahmen den Weg nach dem kleinen Städtchen L. und der Wagen bog seitwärts in eine Allee; bald hielt er an der Pforte von Viola's Vaterhaus. Wie freundlich, wie einladend, wie vornehm und stolz lag es in seinem Kranze uralter Bäume.

Seltsam, es stand Niemand am Thore zu Viola's Empfang bereit, als der Wagen die Rampe Hinanfuhr. Der Diener half dem jungen Mädchen beim Aussteigen.

Wie still, wie seltsam, wie kühl war es hier. Viola erschrak.Es ist doch Niemand krank?" frug sie den Diener.

Nein, Fräulein, so viel ich weiß," sagte dieser.

Ein Frösteln überlief Viola. Der erste Schatten schien plötzlich über ihren sonnigen Weg zu fallen. Sie wußte nicht von wannen, aber leise erschauernd trat sie in das Haus.

Da kam ihr Bruder Curt, ihr stets fröhlicher Spielgefährte, in seiner grünen kleidsamen Tracht der Forststudenten, die breite Treppe herab-