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Es war eine wundervolle Juninacht, lau, dufterfüllt, fast taghell; der Vollmond und Millionen funkelnder Sterne standen am Himmel. Aus den von Silberglanz umflossenen Büschen des Gartens schlugen die Nachtigallen, die man sorgsam schonte und hegte.

Viola stand am offenen Fenster ihrer Stube, sie wollte noch nicht schlafen, sie fühlte sich verstimmt und unbehaglich. Gern hätte sie noch Musik gemacht, aber das durfte sie nicht wagen, um die Mama nicht zu stören.

Dicke Thränen des Unmuths standen in ihren Augen; aber als sie hinausblickte in die wundervolle Nacht, nahm der Zauber derselben auch ihre unzufriedene Seele gefangen, sie weinte nicht mehr und lauschte den Nachtigallen.

Ihr angeborener heiterer Sinn stieg wieder auf die Oberfläche ihrer Stimmung.Es wird vielleicht bald anders," tröstete sie sich.Mama wird gesund werden, der Amerikaner wird abreisen und Jenny, nun meine Eltern werden mich gewiß nicht zwingen, immer mit dieser Cousine zusammen zu sein, wenn wir durchaus nicht für einander passen. Papa könnte sie ja, wenn er nun doch einmal für sie sorgen will, in eine Pension thun, oder sie könnte Lehrerin werden, da sie so viele Talente hat. Kurzum, ich will auf lustigere Tage hoffen nach diesen langweiligen, denn meine Eltern erfüllen mir ja so gern jeden meiner Wünsche."

Unter diesem beruhigenden Selbstgespräch kam Viola die Luft an, noch ein wenig in den Garten oder doch auf die Terrasse hinabzugehen, um so die schöne Juninacht noch bester zu genießen, als hier vom Fenster aus.

Sie hüllte sich in einen warmen Ueberwurf und stieg hinab. Es war ganz still im Hause, alle Bewohner desselben schienen schon zur Ruhe gegangen zu sein. Durch den Gartensalon gelangte sie auf die Terrasse, welche sich an der Gartenfronte des Hauses entlang zog.

Wie schön war es hier, wie kühl und angenehm! Die Orangen- und Oleanderbäume warfen tiefschwarze Schatten auf den im Mondlicht hellglänzenden Kies; vom Garten herauf zog ein angenehmer Lufthauch, mit dem Dufte unzähliger Blüthen gewürzt.

Viola setzte sich dicht an das Haus auf eine Bank, welche im Schatten zweier in Kübeln gezogener Bäume stand. Ein wenig schauerlich war es, von hier über den schweigenden Garten hinwegzuölicken; ein wenig geister­haft, so ganz allein noch wach zu sein, wenn Alles schlief.