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War das Viola, die mit wirrem Haar, in verstörtem Anzug mit dem leichenblafsen, überwachten, verweinten Gesicht vor ihr stand?

Jenny, Jenny!" rief Viola und ergriff beide Hände ihrer Cousine. O, vergieb mir, wenn ich Dir lieblos, launenhaft, übermüthig erschienen bin! Wenn ich Dich gekränkt habe! Nicht für mich bitte ich Dich, denn ich habe keine Liebe und Großmuth von Dir verdient; ich war ja ein eitles, verwöhntes, ach, ein sündhaftes Geschöpf. Aber für meine Eltern, sür meinen Bruder rufe ich Deine Großmuth an. Nimm nicht Alles, Alles, was meine Eltern bisher besaßen und was nun Dein Eigen­thum ist!"

Viola!" rief Jenny entsetzt,Du bist krank. Du redest im Fieber! Ich verstehe von dem Allen kein Wort. Komm, laß mich Dich in Dein Zimmer, in Dein Bett schaffen. Deine Hände sind eiskalt und Deine Wangen glühen. Was Du da sprachst, ist Fieberwahnsinn!"

Es ist Wahrheit!" schrie Viola auf,es ist Alles, Alles wahr. Mein Vater selbst sagte es. Du bist die Besitzerin von Schönlinde, Dein Vater war der Majoratsherr und mein Vater ist der jüngere Sohn. Doch das weißt Du ja Alles selbst und willst mich nur nicht verstehen. Du kamst hierher, um Dein Erbe in Besitz zu nehmen und uns Alle zu ver­treiben. Mr. Lee, Dein Vormund, trägt die schrecklichen Dokumente bei sich."

Mr. Lee?" frug Jenny nachdenkend.Er hat wohl die Papiere meines Vaters an sich genommen und trägt sie in einer rothen Brief­tasche bei sich."

Jenny, Jenny!" rief Viola und warf sich vor ihrer Cousine auf die Knie nieder,sage mir, daß Du meine Bitte erhören willst! Laß mich nicht ohne Trost und Hilfe! Ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß meine Eltern arm und elend sein sollen, daß mein Bruder unglücklich werden soll! Ach, ich habe sie alle drei so sehr, sehr lieb!"

Viola stehe auf!" sagte Jenny ernst und ruhig.Du sollst vor Gott, aber nicht vor Menschen knieen, am wenigsten vor mir. Ist wirklich Sinn und Wahrheit in Deinen Worten, so sage mir Alles klar, damit ich es verstehen kann. Mr. Lee ist mein bester Freund und ist meines Vaters Freund gewesen, er kann nichts Böses wollen. Er ist jedoch ein schweigsamer Mann, er handelt aber spricht nicht. Gewiß waltet hier ein Mißverständniß ob, welches sich bald aufklären muß."

Viola ließ sich willig von Jenny nach dem Sopha führen, wo sie neben ihr niedersank.