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Nun, Viola," sagte Jenny liebevoll, indem sie das wirre, blonde Haar aus des jungen Mädchens Stirn strich und ihre Thränen abtrocknete, nun sei einmal ganz ruhig und erzähle mir Wort sür Wort, was Du gehört hast und weißt."

Und Viola erzählte so ruhig wie möglich, was sie gehört hatte. Es war nicht viel, aber es war inhaltreich.

Jenny hörte ihr aufmerksam zu und ließ sie ausreden.Und Du hast mich also so bitterlich verkannt?" frug sie traurig, als Viola ge­endet hatte.

Viola blickte auf und in Jenny's Gesicht.Ja," rief sie,ich habe Dich so bitterlich verkannt. O vergieb mir, Du bist gut, edel und groß; welche Sanftmuth und Milde spricht aus Deinem Gesicht, welches mir stets so ernst und kalt erschien."

Jenny zog Viola an sich und küßte sie herzlich.O, wenn Du mich doch recht lieb haben könntest!" flüsterte sie.Aber nun," rief sie dann energisch,legst Du Dich ein paar Stunden nieder, Du mußt die ver­säumte Nachtruhe nachholen. Folge mir nur; ich bin Dein Arzt und Du bist mein krankes Kind!"

Und Hand in Hand geschlungen, gingen die beiden Mädchen den Gang zurück nach Viola's Zimmer. Diese ließ sich ruhig von Jenny auskleiden und niederlegen. Sie wandte gehorsam ihr Gesicht nach der Wand und versuchte einzuschlafen.

Mr. Lee saß in seinem Zimmer auf seinem bequemen Lehnstuhl und rauchte seine Morgencigarre. Vor ihm auf dem Tische dampfte der Theekessel über einer Spiritusflamme; der alte Junggeselle bereitete sein Frühstück selbst, wie er es seit langen Jahren gewohnt war.

Da klopfte es an seine Thüre und auf sein Herein! erschien Jenny auf der Schwelle.

Guten Morgen, Mr. Lee," sagte sie freundlich;störe ich so früh?"

Nein, nicht im Geringsten, Miß Jenny," rief er,wollen Sie mit mir frühstücken?"

Ich habe etwas Wichtiges mit Ihnen zu sprechen," meinte Jenny ernsthaft werdend.

Nun?" frug der Amerikaner und goß das brodelnde Wasser auf seinen Thee.

Mr. Lee," begann Jenny, sogleich auf ihren Gegenstand losgehend, ehe mein lieber Vater starb, sagte er mir: «Wenn ich sterbe, so wirst Du