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Frau Willmer war Wittwe und nährte sich und ihren Sohn von ihrer Hände Arbeit. Durch großen Fleiß und Sparsamkeit war es ihr ge­lungen einen kleinen Nothpfennig zu sammeln, der aber nun in der Zeit der Krankheit kaum hinreichte, um die dringendsten Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Noch schwach und angegriffen von den eben überstandenen Leiden, sah die arme Frau sich daher genöthigt wieder zur Arbeit zu greifen, um nicht in Noth und Schulden zu gerathen. Wenn Jakob sie dann so bleich und erschöpft sah, wie sie sich doch keine Ruhe und keine Erquickung gönnen wollte, da wurde er wieder und immer wieder an seine Schuld erinnert und obschon die liebreiche Mutter ihm volle Verzeihung gewährt hatte, so war doch sein eigenes Gewissen nicht so leicht zu beschwichtigen.

Ein Loch im Aermel zerstörte das Lebensglück eines jungen Mädchens. Lucie Bornholm, die einzige Tochter einer armen Wittwe, war der Gegenstand der zärtlichsten Liebe, aber auch zugleich der ängstlichsten Sorge ihrer Mutter. War Frau Bornholm doch kränklich und durfte auf keine lange Lebensdauer rechnen; was sollte aber nach ihrem Tode aus der verlassenen Tochter werden? Kein liebender Verwandter stand Lucie zur Seite, das Vermögen, das ihre Eltern einst besessen hatten, war verloren gegangen und die kleine Pension, welche ihre Mutter bezog, hörte mit deren Leben auf. Lucie war ein liebes gutes Mädchen, recht hübsch dazu, aber leider auch sehr ver­wöhnt. Ihr Vater war einer jener heiteren Lebemänner gewesen, welche über dem Genuß des Augenblicks die Sorge für die Zukunft ganz ver­gessen. Das Wörtchennur" war auch ihm gar zu geläufig. Jede Aus­gabe, jeder Aufschub eines wichtigen Geschäftes wurde mit jenem vielsagen­den Wörtchen entschuldigt, bis die Ausgaben sich allmälig zu bedeutenden Summen gesteigert hatten und die Verwirrung in den Geschäften zu einem fast unauflöslichen Chaos geworden war. Auch jetzt zögerte Herr Bornholm noch immer, die nöthigen Einschränkungen in seinem Haushalt, die Ordnung in seinem Geschäfte einzuführen. Nur noch diese oder jene kleine Freude wollte er sich gönnen, nur noch wenige Tage der köstlichen Ruhe genießen, ehe er an die widrige Arbeit ging da ereilte ihn eines Tages unerwartet der Tod. Groß war der Kummer seiner liebenden Gattin und Tochter, aber nicht lange durften sie sich dem stillen Schmerz hingeben; die Gläubiger verlangten ungestüm die schon so lange hinaus­geschobene Zahlung ihrer Forderungen die vorhandenen Mittel erwiesen