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Da rollte plötzlich ein Wagen vor das Haus. Die draußen spielenden Kinder eilten herbei, um eine aussteigende Dame freundlich zu begrüßen. Tante Anna!" rief Gretchen aufspringend.Die schickt der liebe Gott gerade heute zu uns. Mama, Du sollst sehen, daß Alles noch gut wird."

Mutter und Tochter eilten hinaus, um die Angekommene zu> empfangen. Tante Anna war eigentlich keine Tante, sie war gar nicht verwandt mit der Familie, aber sie war eine Freundin der Frau Pastorin und hatte Gretchen einst über die Taufe gehalten. Frau von Klüz, dies war ihr Name, war Vorsteherin der Erziehungsanstalt Emmelinenstift in dem Dorfe Mockrau. Sie hatte in dieser Stellung schon als Mädchen segens­reich gewirkt und hatte auch ihre Anstalt nicht aufgegeben, als sie die Gattin ihres Onkels, des Majoratsherrn von Klüz, geworden war.

Es war keine fröhliche Stunde, welche sie jetzt in dem Trauerhause verlebte. Die Frau Pastorin erzählte ihr von ihrem Schmerze, von den letzten Stunden ihres Gatten; ihre Thränen flössen dabei reichlich und die theilnehmende Dame weinte mit ihr. Doch nicht blos zu klagen hatte die Wittwe, sie sprach auch mit innigem Danke von dem wohlthätigen Grafen, wenn sie auch einen leisen Seufzer nicht unterdrücken konnte, als sie hinzufügte, daß ihre Söhne schon nach wenigen Tagen abreisen sollten.

Du arme Marie," sagte Frau v. Klüz herzlich,wie schwer muß Deinem trauernden Herzen gerade jetzt diese Trennung werden! Und nun komme ich heute noch mit der Bitte, daß Du auch Deine beiden ältesten Töchter andern Händen anvertrauen möchtest."

Die Mutter blickte sie fragend an, und Gretchen und Martha horchten hoch auf.Was mein liebes Pathchen betrifft," fuhr Frau v. Klüz fort,so war es ja immer schon bestimmt, daß sie im nächsten Herbst zu mir kommen sollte. Da sie nun aber gar keinen Unterricht hat, möchte ich Dich bitten, sie mir schon jetzt anzuvertrauen."

Ist denn jetzt im Emmelinenstift eine Freistelle offen?" fragte die freudig überraschte Mutter.

Für mein liebes Gretchen ist in meiner Anstalt und in meinem Herzen immer eine Freistelle offen," erwiderte Frau v Klüz lächelnd.Liebe Marie, Du mußt mir erlauben, daß ich von nun an für Gretchen sorge wie für meine eigene Tochter. Mein guter Mann und ich haben uns das sogleich vorgenommen, als ich gestern Deinen Brief empfing. Deine älteste Tochter soll Dich nichts mehr kosten. Aber auch für Martha möchten gute Freunde sorgen. Meine lieben Eltern bitten Dich recht herzlich, ihnen