406

stube der dritten Stube, um ihre Feindin hier zu erwarten. Als sie ihren Tritt hörte, klopfte ihr das Herz, noch einmal wollte ein leises Gefühl des Stolzes sich in ihr regen, aber sie überwand es.Emma," sagte sie mit bebender Stimme,willst Du mich nicht einen Augenblick anhören?"

Emma antwortete nicht, blieb aber sogleich stehen.

Nun sagte Gretchen ihr Alles, was sie sich vorgenommen, daß es ihr so weh thue, von Emma für eine Heuchlerin gehalten zu werden, daß sie niemals geklatscht und sich nie über Emma beklagt habe. Sie erzählte, wie Elise ihr damals die Thür aufgeschlossen und wie sie ihr leider unüberlegt gesagt habe, daß sie eingeschlossen worden sei, Namen habe sie aber nicht genannt, auch nicht wieder über die Sache gesprochen. Sie sagte weiter, daß sie auch damals, als Emma ihr nachgeahmt, nichts der Tante Anna mitgetheilt, daß diese es vielmehr von ihrem Fenster aus gesehen habe.

Es war sehr unrecht von mir," fuhr Gretchen fort,daß ich damals bei dem Spiel so empfindlich war und in unsere Stube ging, um dort zu weinen. Hätte ich das nicht gethan, so würde Tante Anna gar nichts von der Sache erfahren haben, und Alles wäre besser gewesen. Ich wollte ihr auch nichts davon sagen, Andere erzählten es ihr, und da habe ich sie sehr gebeten, daß sie nicht böse auf Dich sein möchte. Es ist mir sehr, sehr schmerzlich, daß sie Dich meinetwegen bestraft hat, ich weiß ja, daß Du sie lieb hast und gerne bei ihr bist. Liebe Emma, verzeihe mir, daß ich Dir so viel Kummer bereitet habe, vergieb mir Alles, womit ich Dich gekränkt habe. Ach und glaube mir doch, daß ich es aufrichtig meine und nicht lügen und trügen kann. Wenn Du mich auch nicht lieb haben kannst, so hasse mich doch wenigstens nicht. Du brauchst kein einziges Wort zu sprechen, gieb mir nur einmal die Hand, das ist ja genug, dann will ich zu Tante Anna gehen und ihr sagen, daß Du mit mir ausgesöhnt bist, und dann darfst Du wieder zu ihr kommen und Alles ist wieder gut."

Emma hatte den Blick zu Boden gesenkt und schweigend zugehört. Als Gretchen zu Ende war, blickte sie auf, aus ihren Zügen sprach die mächtigste Bewegung, Thränen glänzten in ihren Augen.Gretchen, willst Du meine Freundin sein?" fragte sie.

O wie gern!" antwortete Gretchen, und sie wußte selbst nicht, wie es kam, sie fiel ihr um den Hals und küßte sie. Emma drückte sie fest an sich, dann gingen sie beide in die dritte Stube, denn die Arbeitsstunde begann. Den ganzen Abend war Emma sehr still, aber wenn sie Gretchen