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rücksichtsvoll, den feinen Anstand beobachtend; aber sie war der ersten Gräfin Herbari wenig ähnlich. Auch diese hatte gemalt und gesungen, auch sie war höflich und rücksichtsvoll gewesen, den feinen Anstand be­obachtend; aber bei dieser lag der Grund zu der äußeren Liebenswürdigkeit tief im Herzen, bei jener war viel oberflächliches Wesen, sie war gemacht für das Salonleben.

Dieses Urtheil sprachen Menschen, welche beiden Gemahlinnen des Grafen Herbart nahe gestanden hatten; aber diejenigen, welche gerecht waren, verurtheilten nicht, sie sagten: die zweite Frau hat ebenfalls ein warmes Herz, es bricht zuweilen durch; aber es kommt nicht recht zur Geltung, es ist nicht gepflegt worden bei der Erziehung, das Ver­säumte wird Gottes Führung nachholen müssen. Die zweite Gemahlin hatte dem Grafen auch in herzlicher Zuneigung ihre Hand gereicht, sie hegte gute Vorsätze ihn zu beglücken, sie wollte seine Kinder lieben und versorgen und gut erziehen; sie suchte der kleinen Mädchen Neigung zu gewinnen, sie überhäufte sie mit Geschenken und spielte mit ihnen; sie strebte überhaupt in den neuen Verhältnissen durch freundliches Wesen Freunde zu erwerben. Die junge fein gebildete Gräfin hatte auch ihre ernsten Stunden des Nachdenkens, ging Sonntags gern in die Kirche; aber alles in ihr war oberflächlich und wie sie eigentlich hauptsächlich für das Gesellschaftsleben gebildet worden, so ging sie nun auch fast darin auf. Das Visitenmachen, das Visitenempfangen, die Einrichtung der Toilette, die Toilette selbst nahmen den Vormittag in Beschlag, dazwischen mußte sich manche halbe Stunde zur Musik finden lassen und zur Lectüre eines Buches, das gerade Furore machte. Eine Wirthschaften«, die zugleich Köchin war, sorgte für gute Diners, ein gefüllter Geldbeutel half dabei in seiner Weise. Es wurden oft Gäste zur Tafel geladen. Dazu kamen Kaffee's, Concerte, Abendgesellschaften, die Zeit war fast vollständig aus­gefüllt. Für die zwei kleinen Mädchen, welche mit zum Hausstand ge­hörten, wurde gesorgt, sie hatten ihre körperliche Pflege, hatten eine englische Erzieherin, hatten verschiedenen Privatunterricht und alle Morgen wurden sie von der Mama in ihrem Zimmer besucht und geküßt. Sie waren sehr hübsche Kinder und von großer Natürlichkeit und Anmuth, da machte es der Mama auch Freude mit ihnen auszuführen, spazieren zu gehen und sie vorzustellen, wenn Visiten kamen. Das Modejournal, welches stets im Toilettenzimmer der Gräfin lag, wurde auch bei Besorgung der Kleidung der kleinen Mädchen zu Rath gezogen und da sahen diese denn auch,