486

nicht, daß man lange Zweige dieser Pflanze in frische Erde stellen kann und daß sie dann Wurzeln schlagen, neue Zweige treiben? Wir wollen diese Ranke mitnehmen, ich bringe Dir heute noch einen Blumentopf mit Erde und Du ziehst Dir einen Kranz von Epheu um Dein Fenster herum. Auf diese Weise besitzest Du etwas aus dem Zimmer der Rittersfrau und kannst Dir, wenn Du willst, einbilden, Du wärst ein Ritterfräulein.« Pauline freute sich innig bei dem Gedanken einen Kranz um ihr Fenster ziehen zu können, half ihrem Bruder Herabsteigen, riß mich weiter von der Mauer los, so weit es gehen wollte, nahm auch etwas Erde von dem Boden, aus welchem ich emporgewachsen war, in einem Tuche mit und schlug den Rückweg nach Hause ein. Sie zeigte bei ihrer Heimkehr trium- phirend ihrer Mutter, was sie gebracht hatte und suchte unter altem Hausgeräth in der Bodenkammer einen leeren Blumentopf hervor, in welchen sie mit vieler Sorgfalt die mitgebrachte Erde füllte und mich ein­setzte, mit Wasser begoß und nun im Fenster ihres kleinen Zimmers auf­stellte. In den darauf folgenden Tagen besah sie mich fast stündlich und versäumte darüber beinahe ihre Arbeit, so daß ihre Mutier ganz unzufrieden darüber war. Sie hatte indessen Grund sich wegen meines Lebens zu äng­stigen, denn es war allerdings in Gefahr. Sie hatte gar keine Erfahrung, was die Behandlung der Blumen und Pflanzen betrifft, wußte daher auch nicht, daß man ein Gewächs, welches man umsetzt, nicht gleich an's Licht und in die Sonne stellen darf, daß man es in den Schatten, an einen kühlen Ort stellen muß, um ihm Zeit zu lassen sich an ein neues Leben zu gewöhnen. Der Epheu bedarf im Allgemeinen nur Licht, wenig Sonne; wenn er zu viel begossen wird, schadet es ihm auch, er saugt mehr durch die Blätter als durch die Wurzeln Nahrung ein. Erst nach und nach entdeckte Pauline diese Eigenschaften an mir, sie bemerkte, daß ich Morgens frischer aussah als Abends, woraus sie schloß, daß die kühle Nachtluft vor dem Fenster mir wohlthätig sei; sie bemerkte ferner, daß einige Regentropfen belebend auf mich wirkten, und sie begann alle meine Blätter zu waschen, sie auch täglich Morgens und Abends mit Wasser zu besprengen. Als nun noch ein paar Regentage dazu kamen und ich der feuchten Luft längere Zeit ausgesetzt blieb, war die Gefahr für mich vor­über und ich hatte Kraft genug, um in meinem Topf Wurzeln zu schlagen. Ein enges Gefängniß war er freilich, verglichen mit dem Erdboden, der die Schloßruine umgab, und einige meiner Blätter fielen auch nach und nach welkend ab, jedoch schon nach wenig Wochen trieb ich einen frischen