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Keim und Pauline's Freude darüber war außerordentlich groß. Auch ihr Bruder Ferdinand, der nicht im Hause wohnte, sondern' bei einem Buch­binder Lehrling war, kam öfters sich nach mir zu erkundigen, half zuweilen meine Blätter waschen und brachte auch einmal frische schwarze Erde mit, um meinen großen Blumentopf bis an den Rand zu füllen, denn bis dahin war er nicht ganz voll gewesen. Es ist, als ob die Pflanzen es zu unterscheiden wüßten, wie und von wem sie gepflegt werden, als ob es ihnen selbst eine Lust wäre zu gedeihen, wenn eine sorgsame Hand ihren Bedürfnissen nachhilft, sie zur rechten Zeit begießt, die welken Blätter entfernt, sie vor brennender Sonnenhitze und trockenem Winde schützt, ihnen Regen verschafft und sie namentlich vor dem Staube bewahrt, welcher sich auf die Blätter setzend ihr Gedeihen verhindert. Pauline war in Allem, was sie that, so sorgsam, daß es ihr gelingen mußte. Man sollte zwar denken, ein Jeder könne eine Pflanze begießen, hierzu gehöre weiter nichts, als daß man es zu bestimmten Stunden regelmäßig thue; dem ist aber nicht so; denn daszu viel" oderzu wenig" undzur rechten Zeit" muß man den Pflanzen ablauschen; außerdem will eine jede anders behandelt sein, was nur die Erfahrung demjenigen lehrt, der dar­auf achtet. Pauline war so kindisch in ihrer Freude über mein Ge­deihen, daß sie meinte: ein Jeder, der in ihr Zimmer käme, müsse mich gleich bemerken und bewundern; es war auch der Fall, beinahe Allen, die sie besuchten, fiel ich in's Auge; ich trieb so kräftige Zweige und Blätter, daß meine Ranke immer länger und dicker wurde. Pauline's Mutter wohnte im Hause eines wohlhabenden Bürgers, der hatte eine Tochter in Pauline's Alter, welche mit ihr in die Schule gegangen war und welche Pauline sehr lieb gehabt hatte, während sie beide noch klein waren; als sie heranwuchsen, hatte sich jedoch ihr Verhältniß zu einander geändert, denn Hedwig, die reiche Vüxgerstochter, dünkte sich viel zu vornehm, um mit der armen Nähterin umzugehen, außerdem war sie eifersüchtig auf sie, denn Pauline gefiel den Leuten besser als Hedwig. Dann und wann kam Hedwig nun freilich zu ihrer früheren Jugendgespielin, wenn sie es that, war es aber meistens um sie zu bitten, ihr bei dem Einkauf oder der Anordnung ihres Anzugs behilflich zu sein, weil sie fand, daß Pauline guten Geschmack habe, und also kam sie aus Eigennutz, nicht aber aus Liebe. So kam sie denn auch eines Tages, als Pauline eben am Fenster saß und nähte, und verlangte letztere solle mit ihr gehen und ihr einen neuen Winterhut aussuchen helfen. Pauline war gleich bereit dazu und während sie auf-