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Der Gärtner nahm uns mit und so kamen wir in Emma's Besitz. Unsere Geschichte ist nicht lang und unser Leben wird bald aus sein, obgleich wir in nassen Sand gestellt und mit frischem Wasser reichlich begossen wurden und noch immer getränkt werden. Daß wir, ehe wir hinsterben, Euch diese kleine Lebensgeschichte erzählen konnten mit Emma's Hilfe, war ein hübscher Zufall.

Das hast Du ganz niedlich erzählt, Emma," sagte die Erzieherin, schade, daß die Geschichte so kurz ist. Den Schluß macht, wie ich sehe, die Reseda, welche Deine Lieblingsblume ist, wie ich weiß. Ich bin neu­gierig auf ihre Geschichte. Sie las weiter:

Die Reseda erzählt:

Ehe ich zu der Würde gelangte in einem schönen Blumentopf auf Emma's Fensterbrett zu stehen, war ich in einem ganz kleinen Blumen- gärtchen eines Kindes aufgeblüht, welches mich da gesäet hatte und zwar nachdem es den Samen, aus welchem ich entstanden bin, in einem Gewölbe gekauft hatte bei einem alten Mütterchen, welches mit Blumensamen han­delt. Dieses Mütterchen hatte in einem Schrank, der aussah wie ein Gewürzschrank mit vielen Schubladen und Fächern, allerhand Samen in Papier eingewickelt liegen; auf jedem Papierchen stand der Name der Pflanze, von welcher der Same genommen war. Die Frau ordnete und legte sie zurecht und hielt oft lange Reden, während sie es that. Sie schien eine besondere Vorliebe zu haben für einige Pflanzen, und an­dere, deren Samen sie auch verkaufte, konnte sie nicht leiden. Mohnsamen z. B. haßte sie, denn sie sagte:Der Mohn ist eine eitle, prunkende Blume und hat doch keinen Geruch, seine Blätter fallen gleich ab wenn er kaum aufgeblüht ist, welches Recht hat er so zu prahlen? Die Menschen haben zwar eine Vorliebe für ihn, sie verlangen Mohnsamen und säen ihn und freuen sich wenn seine bunten Blumen aus der Erde emporschießen. Die Nelke ist mir lieber, sie hat etwas Beständiges in ihrer Art und Weise, sie blüht anhaltend wenn sie einmal blüht und vereinigt mit schönen Farben auch einen schönen Geruch." Vor allem liebte sie, wie sie sagte, Reseda. Das ist eine bescheidene, liebe Blume," urtheilte sie,außer dem Veilchen duftet keine so süß. Vom Frühjahr bis zum Herbst und selbst im Winter im Zimmer erhält sich diese Pflanze in Blüthe." Die Alte hatte eine wahrhaft kindische Freude, wenn von ihren Käufern Jemand ihre Ansichten über die Blumen theilte, sie pflegte in solchem Fall allerhand von den