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ich gebe Dir ein kleines Heft mit, welches ein Märchen enthält, ich habe es einmal in einem alten Buch gefunden, herausgeschnitten und in das Fach gelegt, in welchem sich der Reseda-Samen befindet, es ist von der Reseda darin die Rede. Du siehst mir aus wie ein Kind, das gerne Ge­schichten liest, nimm das Heft mit und bringe es mir gelegentlich wieder." Die wunderliche Alte reichte Lenchen das Heft dar, das Kind nahm es und wollte den Samen bezahlen, aber die Alte nahm durchaus kein Geld an.Wenn der Same aufgeht, dann komme wieder und laß es mich wissen und sage mir, wie Dir die Geschichte gefallen hat." Lenchen dankte der Alten, ging vergnügt nach Hause und erzählte ihrem Vater was ihr begegnet war.Ich kenne die alte Frau schon lange," sagte er, ehe Du auf die Welt kamst, als ich noch Tischlergesell war, habe ich ihr den Schrank gemacht, in welchem sie den Blumensamen aufbewahrt; manche Leute halten sie für geisteskrank wegen ihrer närrischen Einfälle, aber es ist immer viel Sinn in dem was sie sagt, so ungewöhnlich es auch klingen mag." Lenchen säete den Samen in ihrem kleinen Gärtchen aus und begoß ihre Pflanzung regelmäßig Abends und Morgens. Bald auch kam ich mit meinen Gefährten aus der Erde heraus, und das liebe Kind ju­belte laut, als sie unsere ersten kleinen Blätter hervorgucken sah. Das Heft, welches ihr die Alte gegeben hatte, fiel ihr erst wieder ein als wir emporwuchsen, sie hatte es ihrem Vater gegeben und der hatte es aufbe­wahrt. Nun bat sie ihn darum, und als er es ihr wiedergab, trug sie sich einen Schemel in ihr Gärtchen zu uns heraus, setzte sich darauf und las folgendes Märchen:

Die Bienen und die Blumen.

Ein Bienenschwarm hatte lange Zeit im Garten eines Bauers ein ruhiges Leben geführt. Im Winter war er von dem Bauer gefüttert worden, im Sommer hatten sich die Bienen ihre Nahrung selbst verschafft und waren im Obstgarten und in den Feldern des Bauers herumgeflogen, um aus allen Blumen und Blüthen, die sie fanden, Honig zu saugen. Sie hätten nun für immer ihr einfaches Leben so fortführen können, hätte nicht die Bienenkönigin plötzlich Lust bekommen ihren Aufenthalt zu ändern. Zu der Zeit, von welcher wir reden, war der Frühling bereits vorüber, die Aepfel-, Kirschen- und Birnenbäume hatten fast keine Blüthen mehr; die Bäume waren somit ihres schönsten Schmuckes beraubt und Blumen gab es dort nicht, denn die Königin wollte die großen dunklen Klatsch-